Deutschland steht sich laut dem CSU-Politiker Walter Nussel in vielen Bereichen mit seiner Bürokratie selbst im Weg. "Wir müssen weg vom Klein-Klein", sagt der Beauftragte der bayerischen Staatsregierung für Bürokratieabbau dem BR. Daher sollten auf Bundesebene mit Notfallplänen oder -verordnungen alle Vorschriften, die nicht unbedingt nötig seien, für zwei Jahre ausgesetzt werden. Ziel müsse sein, dass Leistungsträger und Verwaltungen "wieder Beinfreiheit bekommen".
So sollten beispielsweise im Bausektor und bei Infrastrukturmaßnahmen Genehmigungen "schnellstmöglich umgesetzt" werden können, im sozialen Bereich und im Gesundheitswesen Dokumentationspflichten reduziert werden. "Das ist meine Botschaft auch für Berlin, für Koalitionsverhandlungen und danach für eine neue Bundesregierung", betont Nussel. "Wir brauchen jetzt einen größeren Schwung, um Deutschland wieder stabil zu machen."
Vorbild EU-Notfallverordnung zur Energie
Als Vorbild nennt Nussel die Notfallverordnung der Europäischen Union, mit der in der Energiekrise die Verfahren zum Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze beschleunigt werden sollten. Auf diesem Weg seien viele Vorgaben ausgeblendet worden, damit Genehmigungen schneller erteilt werden können. "Genau so etwas stelle ich mir vor", sagt der CSU-Politiker.
Er räumt ein: "Da wird es natürlich auch Reibung geben." Aber es brauche ein Signal an die Bevölkerung: "So können wir nicht mehr weitermachen." Nach zwei Jahren könne man dann schauen: "Warum braucht man was?"
Laut dem diese Woche veröffentlichten IHK-Unternehmensbarometer sind 87 Prozent der Unternehmen in Deutschland der Ansicht, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durch Bürokratie und Auflagen in den vergangenen Jahren verschlechtert hat. Eine Studie des Ifo-Instituts ergab im Herbst, dass Deutschland durch überbordende Bürokratie bis zu 146 Milliarden Euro pro Jahr an Wirtschaftsleistung entgehen.
Grüne: Unsinnige Regeln abschaffen, sinnvolle behalten
Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Toni Schuberl, hält wenig von Nussels Vorstoß. "Das Schlimme an der CSU ist, dass sie vom Auftreten Trumps nicht angewidert ist wie alle normalen Menschen, sondern sich inspirieren lässt", sagt Schuberl auf BR-Anfrage.
Die Lösung könne nicht das Außerkraftsetzen rechtsstaatlicher Abläufe sein. "Unsinnige Regeln gehören abgeschafft, nicht nur vorübergehend, sinnvolle Regeln müssen bleiben, die ganze Zeit", betont der Grünen-Politiker.
SPD: Ohne Gesetze geht nichts
Beim SPD-Rechtsexperten Horst Arnold "läuten die Alarmglocken". Wenn diffizile Angelegenheiten vorübergehend im Notverordnungsweg geregelt werden sollten, müsse dies auf stabiler gesetzlicher Grundlage und für die Betreffenden transparent geregelt werden. Eine Regierung könne nur Verordnungen erlassen, wo dies in Gesetzen vorgesehen sei, erläutert Arnold. "Dazu muss das Parlament im Gesetz eine Ermächtigung erteilen."
In der Corona-Zeit sei die Gesellschaft durch Verordnungen organisiert worden – aber erst, nachdem eine Gesetzesänderung diese Möglichkeit geschaffen habe. Nicht alle Regelungen seien sinnvoll gewesen, betont Arnold. "An dem Rigorismus leidet teilweise die Gesellschaft noch immer, weil Verschwörungstheorien, Missbrauchs- und Willkürempfinden in einigen Teilen der Bevölkerung nachhaltig dadurch angelegt wurden."
Wenn Nussel nun meine, "mit der Kettensäge, deren Umgang er als Forstwirt beherrscht, an Gesetzen zu sägen, ist das sehr gefährlich", warnt der SPD-Politiker und Jurist. "In der Geschichte Deutschlands waren Notverordnungen immer auch ein Sargnagel des Parlamentarismus." Ohne gesetzliche Regelungen gehe nichts – der Begriff "Not" bedürfe einer "lobbysicheren Definition durch das Parlament".
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