Ende März 2020: In der menschenleeren Münchner Fußgängerzone fährt ein Polizeiauto
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Ende März 2020: In der menschenleeren Münchner Fußgängerzone fährt ein Polizeiauto.

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"Frieden machen": Corona-Bußgeldverfahren sollen beendet werden

"Frieden machen": Corona-Bußgeldverfahren sollen beendet werden

Rund 20 Monate nach dem Ende der letzten Corona-Beschränkungen in Bayern sollen laut Ministerpräsident Söder alle offenen Bußgeldverfahren eingestellt werden. Das betrifft offenbar Tausende Verfahren. Aus der SPD kommen Zweifel an Söders Vorgehen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Lange galt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als "Corona-Hardliner" - im Freistaat gab es vielfach strengere Beschränkungen als in anderen Teilen Deutschlands. Anfang 2023 liefen nach fast drei Jahren die letzten Corona-Regeln aus, jetzt will Söder eine Art Schlussstrich ziehen: Alle noch offenen Bußgeldverfahren in Bayern sollen eingestellt werden, wie der Ministerpräsident bei der CSU-Fraktionsklausur im oberfränkischen Kloster Banz ankündigt.

Söder: Ein "Signal"

Es sei "wirklich eine lange Zeit" vergangen, sagt Söder zur Begründung. "Wir wollen jetzt sozusagen Frieden haben." Es gehe um Verfahren, "die sich endlos hingezogen haben". Irgendwann müsse man eine Entscheidung treffen. Söder spricht von einer Art Verjährung. Der Ministerpräsident will das auch als "Signal" des Staates an alle Menschen verstanden wissen, die mit der Corona-Zeit "sehr gehadert haben". Wie genau die Einstellung der Verfahren rechtlich funktionieren soll, beantwortet er nicht.

Wie viele Verfahren sind betroffen?

Laut einem Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums gab es Anfang Juli in Bayern noch 17.603 "offene Ordnungswidrigkeitsverfahren, die Verstöße gegen die Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen zum Gegenstand haben".

In den Kommunen ist die Lage sehr unterschiedlich, wie BR-Anfragen ergaben. Die Bußgeldstelle des Münchner Kreisverwaltungsreferats hat noch rund 150 offene Corona-Bußgeldverfahren auf dem Tisch, am Landratsamt Freising sind noch etwa 45 Verfahren in Bearbeitung. Dagegen teilen die Landratsämter Ansbach, Rosenheim und Eichstätt mit, dass keine Corona-Bußgeldverfahren mehr offen seien.

Hohe Bußgelder in Bayern

Einen ersten Corona-Bußgeldkatalog gab es in Bayern im Frühjahr 2020, im Laufe der Zeit wurde er immer wieder an die gerade geltenden Regeln angepasst. Für das Verlassen der eigenen Wohnung ohne triftigen Grund wurden anfangs 150 Euro fällig, für Verstöße gegen die Maskenpflicht später 250 Euro. Einen Regelsatz von 500 Euro sah der bayerische Bußgeldkatalog für das Feiern auf öffentlichen Plätzen vor, bis zu 5.000 Euro sollten Unternehmen oder Betriebe im Fall eines Verstoßes zahlen.

Laut Gesundheitsministerium wurden bis Ende Juli mehr als 240.000 Verfahren abgeschlossen. Dabei ging es um Bußgelder in einer Gesamthöhe von mehr als 42,2 Millionen Euro.

Bestimmte Bußgelder wurden zurückgezahlt

Einen kleinen Teil der Bußgelder musste der Freistaat zurückzahlen. Die Staatsregierung hatte zu Beginn der Corona-Krise ganztägige Ausgangsbeschränkungen eingeführt, während in anderen Bundesländern nur Kontaktbeschränkungen galten. Ende 2022 stufte das Bundesverwaltungsgericht die strenge bayerische Regelung nachträglich komplett als unverhältnismäßig und unwirksam ein.

Daraufhin konnten zu Unrecht belangte Bürgerinnen und Bürger gezahlte Bußgelder zurückfordern, allerdings in sehr eng definierten Fällen. Forderungen, alle Bußgelder im Zusammenhang mit Ausgangsbeschränkungen zurückzuzahlen, lehnte die Staatsregierung ab.

Freie Wähler: "Wir sind es den Bürgern schuldig"

Nach Meinung der Freie-Wähler-Gesundheitsexpertin im Landtag, Susann Enders, geht Söders Ankündigung nicht weit genug. Sie fordere schon lange, "einen möglichst großzügigen Erlass beziehungsweise die Einstellung der Corona-Bußgeldverfahren", sagt sie dem BR. "Im Sinne der Fairness sollte das auch rückwirkend geschehen."

Auch wenn es sich "mal wieder" um einen Alleingang des Ministerpräsidenten handle, sei sie froh, dass die CSU endlich einlenke. "Wir sind es den Bürgern schuldig."

Ist die Einstellung der Verfahren rechtlich möglich?

Der Rechtsexperte der SPD-Landtagsfraktion, Horst Arnold, sieht viele Fragezeichen. Bei Gericht anhängige Verfahren könnten ausschließlich vom Gericht eingestellt werden, bei "Bußgeldbeträgen über 100 Euro mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft". In keiner ernstzunehmenden Demokratie könne ein Regierungsoberhaupt der unabhängigen Gerichtsbarkeit verbindlich Weisungen erteilen.

Im Fall von offenen Verfahren in Kommunen ist es laut Arnold denkbar, "dass das Innenministerium einen Behördenerlass verfügt, in dem explizit darauf hingewiesen wird, noch nicht anhängige Bußgeldverfahren einzustellen". Der ehemalige Staatsanwalt warnt aber, ohne Prüfung des Einzelfalls würden "die bislang rechtstreuen und einsichtigen Bürger düpiert, die ihre Bußen bereits bezahlt haben". Denn deren Bescheide seien rechtskräftig erledigt. SPD-Gesundheitsexpertin Ruth Waldmann wirft dem Ministerpräsidenten vor, sich "einen schlanken Fuß" zu machen.

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