Die bayerische Staatsregierung beklagt am Tag nach der Messerattacke mit zwei Toten in Aschaffenburg Versäumnisse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie des Bundes. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) warf dem BAMF vor, im Fall des tatverdächtigen Afghanen monatelang untätig gewesen zu sein. "Die Verantwortung dafür liegt allein beim BAMF." Und für das Bundesamt wiederum sei das Bundesinnenministerium politisch verantwortlich.
Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nun "markige Erklärungen" abgebe, könne er sich "voll mit den eigenen Behörden beschäftigen", betonte der CSU-Politiker. Scholz hatte am Mittwoch verlangt, die Behörden müssten mit Hochdruck aufklären, "warum der Attentäter überhaupt noch in Deutschland war".
Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte die Kritik aus München "befremdlich". Die bayerischen Behörden müssten erklären, "warum der Täter trotz mehrfacher Gewaltdelike noch auf freiem Fuß war", forderte die SPD-Ministerin in Berlin. "Offenbar sind in Bayern dort auch einige Dinge schiefgelaufen." Am Mittwoch hatte ein ausreisepflichtiger 28 Jahre alter Afghane in Aschaffenburg zwei Menschen erstochen.
Herrmann: Bayern zu spät informiert
Herrmann erläuterte in München, das Bundesamt habe den Asylantrag des Tatverdächtigen schon am 19. Juni 2023 abgelehnt und die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet. Die Ausländerbehörden des Freistaats seien darüber – "aufgrund welcher Fehler und Probleme auch immer" – aber erst am 26. Juli informiert worden, mit der Mitteilung, dass die Überstellungsfrist nach Bulgarien schon am 3. August ablaufe. Es sei offenkundig, dass eine bayerische Behörde eine solche Ausweisung nicht innerhalb weniger Tage organisieren könne, betonte der Minister.
Am 8. August 2023 erklärte sich laut Herrmann dann das Bundesamt wieder für zuständig für das Verfahren. Bis Dezember 2024 sei "nichts weiter gekommen". Es seien also weitere 16 Monate vergangen, bis der Tatverdächtige überraschend selbst seine freiwillige Ausreise angekündigt habe. Ohne gültige Papiere der afghanischen Republik sei eine solche Ausreise aber nicht möglich gewesen. Diese seien beim Generalkonsulat beantragt worden, lägen aber noch nicht vor.
Unabhängig davon habe Kanzler Scholz schon vor Monaten mehr Abschiebungen nach Afghanistan angekündigt. Bis auf einen einzigen Abschiebeflug seien diesen Worten keine Taten gefolgt, kritisierte Herrmann.
Söder: "Es reicht! Es reicht, es reicht!"
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte mit Blick auf die Attacke von Aschaffenburg: "Es reicht! Es reicht, es reicht!" Er sei sich mit dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU) einig: Leitlinie der künftigen Migrationspolitik müsse sein: "null Toleranz und null Kompromiss." Die Migration überfordere Deutschland.
Er empfinde es als "Hohn, ein Stück weit scheinheilig, heuchlerisch", wenn von Bundespolitikern wie Scholz und Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) nun Aufforderungen kämen, dass sich etwas ändern müsse. "Die Herren hatten drei Jahre Zeit, das Recht zu ändern. De facto ist fast nichts an der Stelle passiert."
Künftig müsse es an den Grenzen Zurückweisungen und damit faktisch einen Aufnahmestopp, eine "Grenzschließung für illegale Migration" geben. "Wer ausreisepflichtig ist (...), der muss nach Hause - freiwillig oder mit Druck." Bisher sei das Ergebnis besonders bei Afghanen "mehr als trostlos". Es brauche "wöchentliche, vielleicht sogar tägliche Flüge".
Faeser weist Kritik zurück
Faeser wies die Kritik zurück. "Wir haben die Gesetze massiv verschärft: für die Ausweisung von Gewalttätern, für mehr Abschiebung, für mehr Sicherheit im öffentlichen Raum durch Waffenverbote und Kontrollen", sagte die Bundesministerin.
Im konkreten Fall wäre laut Faeser schon 2023 eine Abschiebung nach Bulgarien erforderlich gewesen. Denn nach europäischen Recht sei damals Bulgarien für dieses Asylverfahren zuständig gewesen. Abschiebungen lägen in der Verantwortung der Länder. "Deutschland wurde erst zuständig, weil da Fristen verstrichen sind." Die SPD-Politikerin betonte, es müsse "mehr Konsequenz in der Durchsetzung unserer Gesetze geben".
Grüne verlangen Sondersitzung - AfD will Minister-Rücktritt
Die bayerische Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze forderte eine Sondersitzung des Innen- und des Rechtsausschusses im Bayerischen Landtag. Dort müsse Minister Herrmann Rede und Antwort stehen. "Dieser Mann hätte nicht mehr in Bayern sein dürfen. Es gilt jetzt also, aufzuklären, wo die Versäumnisse lagen", sagte sie dem BR. "Angeblich ist er ja schon vorher mit Gewalttaten aufgefallen. Warum hat man ihn zum Beispiel nicht in Gewahrsam genommen?"
Die AfD-Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner beklagte einen "Super-GAU für Exekutive und Justiz". Sie verlangte personelle Konsequenzen: "Innenminister Herrmann ist rücktrittsreif."
Zwei Tote und drei Verletzte
Am Mittwoch hatte ein 28 Jahre alter Afghane in einem Aschaffenburger Park ein Kind in einer Kindergartengruppe mit einem Küchenmesser angegriffen. Der zweijährige Junge marokkanischer Herkunft wurde tödlich verletzt. Zudem wurde ein 41-Jähriger getötet, der vermutlich eingeschritten war, um andere Kinder zu schützen. Ein weiteres Kind und zwei Erwachsene erlitten Verletzungen. Der Tatverdächtige wurde festgenommen.
Video: Ministerpräsident Söder zur Tat in Aschaffenburg
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