Hubert Aiwanger und Markus Söder
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Partner im Clinch: Söder, Aiwanger und Bayerns Politik-Jahr 2023

Partner im Clinch: Söder, Aiwanger und Bayerns Politik-Jahr 2023

Schwarz-Orange vor der Wahl, Schwarz-Orange danach – dabei gab es 2023 viel Zoff zwischen den Partnern. Es war ein Jahr, in dem Freie-Wähler-Chef Aiwanger die CSU um Ministerpräsident Söder das Fürchten lehrte. Ein Rückblick.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Seine Weihnachtsgeschenke besorgt Markus Söder gern auf den letzten Drücker. "Ich gehöre immer zu den Last-Minute-Käufern", sagte der bayerische Ministerpräsident vor wenigen Tagen in seinem Weihnachtsvideo in den sozialen Netzwerken. Im politischen Alltag dagegen plant Söder seine Strategien von langer Hand, schiebt nichts auf die lange Bank, überlässt nichts dem Zufall.

Im Jahr 2023 stürzte sich der CSU-Chef von Anfang an mit ganzer Kraft in einen monatelangen Landtagswahlkampf, wurde als Ministerpräsident bestätigt und ging anschließend nahtlos in einen vorgezogenen Europa- und Bundestagswahlkampf über: Söder absolvierte ein Jahr im Dauerwahlkampfmodus.

Unermüdlich arbeitete er sich dabei an der Berliner Ampel ab, während sich in seinem Rücken ausgerechnet der Bündnispartner zum neuen Haupt-Herausforderer aufschwang: 2023 war auch das Jahr, in dem der lange unterschätzte Hubert Aiwanger (Freie Wähler) die CSU das Fürchten lehrte.

Heraus aus Söders Schatten

Während Söder Stabilität predigte und sich die bayerische Opposition über Monate vergeblich mühte, etwas Spannung in den bayerischen Landtagswahlkampf zu bringen, war es Vize-Ministerpräsident Aiwanger, der die Landespolitik kräftig durcheinanderwirbelte. Aus CSU-Sicht hat der Freie-Wähler-Chef mit seiner umstrittenen Erdinger Rede ("Demokratie zurückholen"), seinen Interview-Äußerungen ("formale Demokratie"), der Täter-Opfer-Umkehr im Zuge der Antisemitismus-Vorwürfe ("Schmutzkampagne") sowie mit populistisch formulierten Tweets mehrfach Regeln des politischen Anstands verletzt.

Aus Freie-Wähler-Perspektive dagegen ist es Aiwanger endlich gelungen, erkennbar aus Söders Schatten herauszutreten. Dass er dafür ein oder zwei große Schritte in Richtung AfD gegangen ist, bestreitet Aiwanger selbst nicht. Im Gegenteil: Der Freie-Wähler-Chef will der AfD das Wasser abgraben, indem er sich als Kämpfer für eine angebliche "schweigende Mehrheit" präsentiert, der er mit kantigen Sprüchen über "woke" Ideologen, regierende Taugenichtse und teure Migranten eine Stimme geben will.

CSU verliert viele Wähler an die FW

37,0 Prozent erzielte die CSU bei der Landtagswahl: Das ist zwar der schwächste Wert seit 1950, aber so dicht dran am Resultat von 2018, dass Parteichef Söder größerer Unmut in der Partei erspart blieb. Gleichzeitig legten die Freien Wähler, die weitgehend die gleiche Wählerklientel ansprechen wie die CSU, allerdings kräftig zu (+4,2 Punkte): Sie wurden mit einem Rekordergebnis von 15,8 Prozent zweitstärkste Kraft in Bayern.

Dass den Christsozialen mit den Freien Wählern eine echte Herausforderung erwachsen ist, zeigt ein Blick auf die Wählerwanderung: Rund 260.000 Menschen wählten dieses Mal die FW, nachdem sie bei der Landtagswahl vor fünf Jahren noch für die Christsozialen gestimmt hatten. Von den FW wanderten dagegen nur 120.000 zur CSU.

Gesichtswahrender Kompromiss

Entsprechend selbstbewusst gingen die Freien Wähler in die erneuten Koalitionsverhandlungen mit der CSU, stellten forsche Forderungen für die Postenverteilung in der Staatsregierung. So lautstark beide Parteien in den Tagen nach der Wahl polterten, so geräuschlos verliefen dann die eigentlichen Gespräche.

Am Ende stand ein für beide Seiten gesichtswahrender Kompromiss. Die Freien Wähler haben mit Fabian Mehring jetzt einen vierten Minister, wenngleich sie nur das mit vergleichsweise wenig Geld und Kompetenzen ausgestattete Digitalministerium erhielten und im Gegenzug einen Staatssekretärsposten abgeben mussten. Wirtschaftsminister Aiwanger bekam die Zuständigkeit für sein Leib- und Magenthema Jagd, musste aber Tourismus und Gastronomie an Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) abtreten, die zu einer Art Superministerin avancierte.

Tiefes Misstrauen

Auch wenn Söder zuletzt öffentlich die neu gefundene Harmonie beschwor - das Misstrauen in der CSU sitzt nach wie vor tief: nicht gegen die Freien Wähler insgesamt, sondern konkret gegen ihren Vorsitzenden. In der CSU-Spitze herrscht große Einigkeit darüber, dass Aiwanger künftig härter angegangen werden muss. Bei der Frage nach einer wirksamen Abgrenzungsstrategie zeigt sich so manch führender Christsoziale aber ratlos.

Söders wiederholte Versuche, Aiwanger öffentlich in die Schranken zu weisen und unter Druck zu setzen, änderten am forschen Auftreten des Freie-Wähler-Chefs nichts - auch weil die CSU sich früh auf eine Fortsetzung des schwarz-orangen Bündnisses festgelegt hatte. Beflügelt durch Zuspruch in Bierzelten und sozialen Netzwerken sowie gute Umfragewerte zeigte sich Aiwanger unbeeindruckt vom erhobenen Zeigefinger Söders, hielt an seiner Strategie fest - und stellte wiederholt fest: Er kommt durch.

Öffentlich tröstet sich die CSU mit der Theorie, das dicke Plus der FW sei eine einmalige Folge einer Solidarisierungswelle mit Aiwanger wegen der Flugblattaffäre gewesen. Tatsache aber ist: Aiwanger bleibt für die CSU unberechenbar und könnte den Christsozialen schon bei der Europawahl im Juni wertvolle Prozentpunkte abnehmen.

AfD erstarkt

Ratlosigkeit herrscht in der CSU auch mit Blick auf die erstarkte AfD. Nach jahrelanger Zurückhaltung beim Thema Flüchtlingspolitik verschärfte Söder im Laufe des Jahres wieder seine Rhetorik, belebte die Obergrenzen-Forderung seines Vorgängers Horst Seehofer neu und verlangte reihenweise Verschärfungen des Asylrechts. Aiwanger stimmte mit ein und legte rhetorisch noch eine Schippe drauf.

Ein Erstarken der AfD auch in Bayern verhinderte das nicht. Keine Partei legte bei der Landtagswahl mehr zu als die AfD: 4,4 Punkte auf 14,6 Prozent. Wieder ein Blick auf die Wählerwanderung: Die CSU verlor dreimal mehr Wähler an die AfD als umgekehrt, die Freien Wähler doppelt so viele - trotz Aiwangers Strategie.

Die neue AfD-Fraktion ist nicht nur deutlich größer als in der vorigen Legislaturperiode, sie ist politisch auch viel rechter. Die Mehrheit der Abgeordneten wird dem offiziell aufgelösten völkisch-nationalen "Flügel" zugerechnet, Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner gilt als Vertraute von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke aus Thüringen. Kaum hatte der neue Landtag in seiner ersten Sitzung Ilse Aigner (CSU) als Parlamentspräsidentin wiedergewählt, hob er sogleich die Immunität eines AfD-Abgeordneten auf: Gegen Daniel Halemba ermittelt die Staatsanwaltschaft Würzburg wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen.

Zwar haben im neuen Landtag AfD und Grüne gleich viele Abgeordnete. Wegen des etwas besseren Wahlergebnisses gilt die AfD aktuell als stärkste Oppositionskraft, der spezielle Rechte zustehen, zum Beispiel das Ersterwiderungsrecht nach Regierungserklärungen.

Grüne fokussieren sich auf Schulze

Die Grünen verfehlten nicht nur ihr erklärtes Wahlziel, endlich in Bayern mitzuregieren, sondern mussten bei der Landtagswahl auch Freie Wähler und AfD an sich vorbeiziehen lassen. Zwar verweist die Partei darauf, dass sie trotz des erheblichen bundespolitischen Gegenwinds und der Anti-Grünen-Rhetorik von CSU, FW und AfD ihr zweitbestes Landtagswahlergebnis erreicht hat. Dennoch bleibt gegenüber 2018 ein Minus von 3,2 Punkten und vorerst auch der Verlust der Oppositionsführerschaft.

Die Grünen-Landtagsfraktion, die viele Jahre von einer Doppelspitze geführt wurde, hat nun mit Katharina Schulze eine alleinige Chefin. Ihr bisheriger Co-Vorsitzender Ludwig Hartmann wurde Landtagsvizepräsident. Mit der Fokussierung auf Schulze, die mit Abstand bekannteste bayerische Oppositionspolitikerin, richtet die Grünen-Fraktion gewissermaßen schon den Blick auf die nächste Landtagswahl: 2028 wäre Schulze alt genug, um als Anwärterin für das Amt der Ministerpräsidentin ins Rennen zu gehen. Denn in Bayern gibt es dafür nach wie vor ein Mindestalter von 40 Jahren.

Söders Meinungswechsel

Im Wahlkampf 2028 könnte es eine mögliche Spitzenkandidatin Schulze übrigens einmal mehr mit Söder zu tun bekommen. Denn der CSU-Chef überraschte gleich zu Beginn des Jahres mit der Abkehr von seiner eigenen Forderung nach einer Amtszeit-Begrenzung von zehn Jahren, mit der er 2018 angetreten war. Söder hält sich nun eine weitere Kandidatur 2028 offen: "Das heißt: Es gilt nicht 'zehn', sondern 'zehn plus' als Grundregel für die Zukunft."

Ob dann auch Hubert Aiwanger wieder als FW-Spitzenkandidat mit von der Partie ist, bleibt abzuwarten: Der Freie-Wähler-Chef will bei der Bundestagswahl einen weiteren Versuch starten, es nach Berlin zu schaffen.

SPD mit Stolper-Start

Denkbar schlecht war schon der Jahresbeginn für die gebeutelten bayerischen Sozialdemokraten. Unmittelbar nach der Weihnachtspause trat ihr Generalsekretär Arif Tasdelen nach Vorwürfen zurück, er habe sich gegenüber SPD-Frauen unangemessen verhalten. Gerade einmal zweieinhalb Tage später schon folgte der Befreiungsschlag von Landeschef Florian von Brunn: Er präsentierte mit Ruth Müller und Nasser Ahmed ein neues Generalsekretärs-Duo, das einen schwungvollen SPD-Landtagswahlkampf organisieren sollte.

In einem Wahlkampf, der überwiegend von bundespolitischen Themen geprägt war, gelang es den bayerischen Genossen aber so gut wie gar nicht, mit ihren Themen durchzudringen. Dass Landeschef und Spitzenkandidat von Brunn seine geringe Bekanntheit nicht signifikant steigern konnte, kam erschwerend hinzu.

So ging es bei der Landtagswahl noch einmal abwärts auf 8,4 Prozent (-1,4). Und da die FDP den Wiedereinzug ins Maximilianeum verpasste, stellen die Sozialdemokraten nun die mit Abstand kleinste Fraktion. An ihrer Spitze steht trotz der Wahlschlappe erneut Florian von Brunn - allerdings wurde er erst nach langen Diskussionen im Amt bestätigt.

FDP fliegt aus dem Landtag

Für die FDP bleibt es in Bayern dabei: Nach einer Legislaturperiode im Landtag fliegt sie wieder aus dem Maximilianeum. Seit vier Jahrzehnten ist es den Liberalen nicht mehr gelungen, ein zweites Mal in Folge in den Bayerischen Landtag einzuziehen. Mit 3,0 Prozent scheiterte die Partei von Landeschef Martin Hagen letztlich deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde.

Wie Grünen und SPD machte auch der FDP der wachsende Unmut über die Berliner Ampel zu schaffen. Auch aus den Untersuchungsausschüssen des Landtags zur Masken-Affäre, zur Kostenexplosion bei der zweiten Münchner S-Bahn-Stammstrecke sowie zum Nürnberger Zukunftsmuseum konnten die Liberalen keinen nennenswerten Nutzen ziehen.

In der außerparlamentarischen Opposition setzt die bayerische FDP nun erstmals auf eine Doppelspitze: Hagen wurde auf einem Landesparteitag als Landeschef bestätigt, zur Co-Vorsitzenden wurde die Bundestagsabgeordnete Katja Hessel gewählt.

Corona, Wölfe und Klagen in Karlsruhe

Nach drei Jahren Pandemie brachte 2023 das Ende aller Corona-Beschränkungen: Noch vor dem Aus für die Bundesvorgaben schaffte Bayern seine eigenen Regeln komplett ab - die über die Jahre in mehr als 100 Fassungen der Corona-Verordnung festgelegt worden waren. Statt der Debatten über Isolation, Test- und Maskenpflichten gab es vermehrt wieder leidenschaftliche politische Auseinandersetzungen über vielfältige Themen: zum Beispiel das Abwerben von Lehrern in anderen Ländern, über den Abschuss von Wölfen, über Windräder und Atomkraft.

Gegen den Länderfinanzausgleich, die Erbschaftssteuer und das neue Bundeswahlrecht klagte die Staatsregierung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe - Ausgang offen. Leidenschaftlich gestritten dürfte über diese Themen auch 2024 werden. Der Dauerwahlkampf geht weiter.

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