Es war eine Aussage im Wirtschaftsbeirat von ZF, die die IG Metall in Schweinfurt hellhörig gemacht hat: Laut eines Teilnehmers wolle "der Konzern auf Sicht keine Neuprodukte für die Elektromobilität mehr in Deutschland ansiedeln".
Das Unternehmen würde damit die Zukunft der Fertigung der Elektromobilität in Deutschland und damit besonders die Fertigung am Standort Schweinfurt infrage stellen – so Thomas Höhn, der erste Bevollmächtigte der IG Metall in Schweinfurt. Zunächst wollte ZF auf BR24-Anfrage "Aussagen aus einer internen Sitzung extern nicht kommunizieren". Jetzt äußert sich das Unternehmen doch.
Investitionen in Millionenhöhe am ZF-Standort Schweinfurt
Die Pressesprecherin vom ZF Standort Schweinfurt sagt auf BR24-Anfrage, dass ZF mit hohen Millionenbeträgen in die Produktion von Produkten im Bereich E-Mobilität am Standort Schweinfurt investiere: "Im Rahmen unseres Transformationsprogramms SCW 2030 hat ZF dem Standort Investitionen in Höhe von 180 Millionen Euro zugesagt. Realisiert wurden schließlich sogar fast das Doppelte an Investitionen." Das wären rechnerisch fast 360 Millionen Euro.
Dazu gehörten auch viele Investitionen in die Automatisierung und Digitalisierung von Prozessen. "Unsere E-Factory setzt Maßstäbe für eine digital vernetzte Produktion, effiziente Prozesse und erstklassige Serienqualität. Wichtig ist uns auch die Weiterbildung bzw. das Reskilling der Mitarbeitenden", betont ZF weiter.
Der Standort Schweinfurt sei "Leitwerk" der ZF Group für E-Motoren weltweit und habe beispielsweise zuletzt einen ultrakompakten E-Motor entwickelt, der ohne Magnete auskomme und bis zu 50 Prozent weniger CO₂ bei der Produktion im Vergleich zu marktüblichen E-Motoren verbrauche. "Denn das zeichnet den Standort aus: Die Innovationskraft seiner Mitarbeitenden und dass alle Kompetenzen von Entwicklung bis Produktion vor Ort vorhanden sind", heißt es von ZF wörtlich.
Programm zur Zukunftssicherung des Standorts Schweinfurt
Das Hauptwerk des ZF-Standorts in Schweinfurt mit seinen rund 9.000 Beschäftigten ist laut IG Metall stark durch die Elektromobilität geprägt. Über 60 Prozent der Belegschaft sei in diesem Zukunftsfeld tätig. Betriebsrat und ZF hätten 2018/2019 unter dem Titel SCW 2030 ein Programm vereinbart, um die weitreichenden Veränderungen proaktiv zu gestalten und den Standort wettbewerbsfähig für die Zukunft zu machen.
Ziel des Programms sei es gewesen, im Gegenzug zu Investitionen am Standort deutliche Einsparungen zu erzielen und damit langfristig Zukunftsperspektiven und Arbeitsplätze zu sichern. Ende 2023 ist das Programm SCW 2030 sowohl aus Sicht von ZF als auch des Betriebsrats erfolgreich abgeschlossen worden.
Wo werden neue Produkte für E-Mobilität künftig angesiedelt?
ZF treibe in Schweinfurt im Augenblick unter anderem den Umbau einer Produktionshalle voran, in der künftig E-Motoren für einen großen europäischen Kunden hergestellt werden sollen. "Wir gehen damit in eine hohe Fertigungstiefe, produzieren also einen wesentlichen Anteil der einzelnen Komponenten des Motors hier vor Ort", heißt es von ZF wörtlich.
Selbstverständlich würden neue Produkte im Bereich der E-Mobilität weltweit gefertigt: Viele Kunden verlangen, aus Produktionswerken beliefert zu werden, die in der Nähe ihrer eigenen Werke angesiedelt sind. Das gelte auch für die deutschen Kunden. "Wir müssen jedoch in Deutschland wie auch weltweit unsere Kunden immer wieder aufs Neue von unserer Flexibilität, unseren Ideen und einem besonderen Einsatz überzeugen. Schweinfurt hat darüber hinaus als Leitwerk für viele Zukunftsthemen im weltweiten ZF-Verbund eine wichtige Aufgabe", heißt es von ZF abschließend. Inwiefern neue Projekte im E-Bereich am Standort Schweinfurt geplant sind, ließ ZF offen.
IG Metall befürchtet dennoch Verlagerung der E-Mobilität nach Osteuropa
Der erste Bevollmächtige der IG Metall in Schweinfurt, Thomas Höhn, bleibt dennoch dabei: "Auch wenn das Unternehmen in der Öffentlichkeit Investitionen am Standort Deutschland beteuert, plant der Konzern nach Informationen von IG Metall und Betriebsrat eine erhebliche Verschiebung der Wertschöpfung im Bereich der Elektromobilität nach Osteuropa. Legt man alle Informationen übereinander, wird deutlich, dass sich ZF im Bereich der Elektromobilität aus der Fertigung in Deutschland massiv zurückziehen will."
Wie bereits im Januar berichtet, befürchtet der Schweinfurter ZF-Betriebsratsratsvorsitzende Oliver Moll eine Stellenreduzierung von rund 2.000 Jobs bis 2030 am Standort Schweinfurt. Hintergrund war, dass der ZF-Gesamtbetriebsrat des Automobilzulieferers laut der Deutschen Presse-Agentur einen möglichen Abbau von bis zu 12.000 Stellen an allen deutschen Standorten prognostizierte. Laut dpa könnten danach an allen deutschen Standorten alleine bis 2028 10.000 Stellen wegfallen.
10.000 Jobs bei ZF in Schweinfurt
Am ZF Standort Schweinfurt sind laut Moll fast 10.000 Menschen beschäftigt. Das sind inklusive befristeter Verträge und Zeitverträgen knapp 9.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hauptwerk. Dazu kommen laut Moll zwischen 600 und 700 Stellen im Bereich ZF Aftermarket und noch einmal rund 170 Jobs bei ZF Race Engineering.
ZF Personalchefin Lea Corzilius warnte laut dpa vom Januar vor Panikmache. ZF könne die Sorgen der Mitarbeiter aber nachvollziehen. Die Auftragslage sehe schlecht aus. Die Autoindustrie stecke seit längerem in der Krise. Die weltweite Pkw-Produktion sei seit 2018 gesunken. Dpa zitierte Corzilius im Januar wörtlich so weiter: "Wir befinden uns knietief in der Transformation" Und diese koste auch Beschäftigung. "Wo wir für die Getriebemontage zwei Mitarbeiter benötigen, ist es für die E-Motoren nur einer, sagte ein ZF-Sprecher in Friedrichshafen gegenüber dpa.
ZF ist laut dpa einer der größten Autozulieferer mit mehr als 50.000 Angestellten allein in Deutschland. Der Konzern gehört mehrheitlich der Zeppelin-Stiftung der Stadt Friedrichshafen. ZF schreibt auf seiner Internetseite, dass man 2022 mit weltweit rund 165.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 43,8 Milliarden Euro erzielt habe. Laut Moll hat das Unternehmen Schulden in Höhe von rund elf Milliarden Euro.
Am Standort Schweinfurt wird neben Elektromotoren für die Automobilindustrie unter anderem LKW-Dämpfungstechnik, Eisenbahn-Dämpfungstechnik oder auch ein Schnell-Ladesystem für Porsche produziert. 2015 entschied ZF, bis 2022 die Stoßdämpferproduktion mit einst 1.400 Stellen ins Ausland zu verlagern. Bereits ab 1929 wurden in Schweinfurt konventionelle Stoßdämpfer produziert.
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