Politiker von Freie Wähler, FDP, CSU, Gründe, SPD und AfD diskutierten im BR24 Wahl-Talk.
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Politiker von Freie Wähler, FDP, CSU, Gründe, SPD und AfD diskutierten im BR24 Wahl-Talk.

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#Faktenfuchs: BR24 Wahl-Talk zur Bundestagswahl im Faktencheck

#Faktenfuchs: BR24 Wahl-Talk zur Bundestagswahl im Faktencheck

In der ersten BR-Fernsehdebatte vor der Bundestagswahl im Februar diskutieren Politiker der verschiedenen Parteien unter anderem über Energie, Wirtschaft und Migration. Der #Faktenfuchs hat einige Aussagen geprüft.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Wahl am .

Anmerkung: Wir haben die Behauptungen - wie bei allen Themen, die wir überprüfen - nach drei Kriterien ausgewählt: Verbreitung, Relevanz und Überprüfbarkeit. Es spielt keine Rolle für die Veröffentlichung, ob die Behauptung richtig oder falsch ist oder wer die Behauptung geäußert hat.

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Jamila Schäfer, Grüne

Jamila Schäfer, Spitzenkandidatin Bündnis 90/Die Grünen

Die Behauptung:

"(...) eine Kilowattstunde Solarstrom kostet sechs Cent und zum Beispiel Atomenergie kostet 20 Cent. (...) Aber es stimmt nicht, dass die Erneuerbaren den Strom teurer machen."

Richtig oder falsch?

Teilweise richtig. Die Größenordnung der genannten Strompreise in der Erzeugung stimmt nach den derzeit verfügbaren Quellen. Die generelle Aussage, dass Erneuerbare den Strom nicht teurer machen würden, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend zu beurteilen.

Die Fakten:

Der Vergleich von Stromkosten aus unterschiedlichen Quellen ist komplex. Die Datengrundlage in Bezug auf Deutschland ist nicht jeweils gleich gut. Hinzu kommt etwa die Frage, ob auch etwa Folgekosten der Energiegewinnung wie zum Beispiel der Netzausbau berücksichtigt werden.

Für Sonnenenergie gibt es eine aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE), die das speziell für Deutschland auswertet. Sie bezieht sich auf die Herstellung, die sogenannten Stromgestehungskosten. Sie sind – vereinfacht gesprochen – die Kosten, die bei der Stromproduktion anfallen.

Laut der Studie aus 2024 können diese Kosten für Strom aus Photovoltaik (PV-Anlagen) je nach Anlagentyp und Sonneneinstrahlung zwischen 4,1 und 14,4 Cent pro Kilowattstunde variieren. Die Berechnungen des ISE ergaben, dass Photovoltaik-Anlagen – inzwischen auch in Kombination mit Batteriespeichern – deutlich günstiger Strom produzieren als Kohle- oder Gaskraftwerke. Das erläuterte bereits 2023 dieser #Faktenfuchs.

Für Photovoltaik-Anlagen mit Batteriespeichern liegen die Stromgestehungskosten der Studie zufolge zwischen 6,0 und 22,5 Cent/kWh. Die Bandbreite ergibt sich laut Studie aus mehreren Faktoren: den hohen Kostenunterschieden für Batterien (400 bis 1.000 Euro pro Kilowattstunde), den Kostenunterschieden bei den PV-Anlagen und der unterschiedlich hohen Sonneneinstrahlung.

Die Datenlage für die Gestehungskosten von Atomstrom in Deutschland ist hingegen dünn, wie etwa der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags schreibt: "Grund für die Nichterhebung der Daten ist der Atomausstieg bis Ende 2022", schrieb der Wissenschaftliche Dienst. Das berichtet auch Quarks. Deshalb ist der Vergleich mit Atomkraft nur bedingt möglich.

Im Vergleich der Kosten des Wissenschaftlichen Dienstes berief sich dieser nur auf das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Das Ministerium gab damals zwischen 14 und 19 Cent pro Kilowattstunde als Gestehungskosten für Kernkraft an. Die ISE-Studie gibt als oberes Ende der Bandbreite für die Kosten von Atomenergie sogar rund 50 Cent pro Kilowattstunde an. Die Gründe für diese Bandbreite liegen laut ISE vor allem an unterschiedlichen Annahmen zur Anzahl der Volllaststunden und den Kosten für Kernkraftwerke. Eine Anfrage des #Faktenfuchs zu den aktuellen Gestehungskosten für Kernkraft ließ das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet.

Jede Stromart bringt jedoch auch verdeckte Folgekosten mit sich. Etwa für Gesundheits-, Klima- und Umweltschäden. Diese werden nicht vom Erzeuger bezahlt, wie dieser #Faktenfuchs 2023 zeigte.

Richtig ist aber auch, dass die Erneuerbaren den Strombedarf in Deutschland heute noch nicht alleine decken können. Eine umfassende Antwort auf die Kostenfrage müsste also auch jene Kosten beinhalten, die die Verbraucher in Zukunft für die Speicherung von erneuerbarem Strom zahlen. Außerdem die Kosten für den Netzumbau, der aufgrund der Energiewende nötig wird. Auf dieses Argument weisen etwa Forscher der Technischen Universität Nürnberg und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hin. Diese Kosten lassen sich laut aller im Jahr 2023 vom #Faktenfuchs befragten Experten noch nicht seriös beziffern.

Zum Kontext gehört laut Energiesysteme-Experte Bruno Burger vom ISE aber auch: Die Strompreise seien an der Strombörse mit dem Gaspreis verknüpft – und deshalb immer dann hoch, wenn die erneuerbare Energieerzeugung niedrig ist und viele Gaskraftwerke benötigt werden.

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Stephan Protschka, AfD

Stephan Protschka, Spitzenkandidat AfD

Die Behauptung:

Alexander Dobrindt (CSU) wandte sich an Stephan Protschka (AfD): "Sie wollen doch raus aus der NATO, oder?" Protschka antwortet: "Sagt wer, das stimmt doch gar nicht? Das ist eine freie Lüge (…)"

Richtig oder falsch?

Protschkas Antwort "Das stimmt doch gar nicht" ist falsch, falls man das "Sie" in Dobrindts Äußerung direkt auf Protschka selbst bezieht. Protschka hatte 2023 mit anderen AfD-Politikern einen Antrag initiiert, in dem sie eine Loslösung Deutschlands von der NATO fordern.

Richtig ist die Antwort, falls sich die Aussage Dobrindts auf die Wahl- und Grundsatzprogramme der AfD bezieht: Darin findet sich keine explizite Forderung nach einem zeitnahen NATO-Austritt. Allerdings wird dieser in den Raum gestellt, sollte ein unabhängiges europäisches Militärbündnis aufgebaut werden.

Die Fakten:

Weder im Grundsatzprogramm der AfD noch in den Wahlprogrammen für die Europawahl 2024 oder die Bundestagswahl 2021 ist die Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus dem NATO-Verteidigungsbündnis zu finden. Im Grundsatzprogramm steht: "Die Mitgliedschaft in der Nato entspricht den außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands, soweit sich die Nato auf ihre Aufgabe als Verteidigungsbündnis beschränkt."

Im Programm für die Europawahl 2024 ist eine Einschränkung enthalten: "Derzeit" sei die Nato "der wesentliche Eckpfeiler unserer Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit". Diese Einschränkung aus dem EU-Wahlprogramm greift auch der Leitantrag für das Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025 wieder auf und konkretisiert sie: "Bis zum Aufbau eines unabhängigen und handlungsfähigen europäischen Militärbündnisses bleiben die Mitgliedschaft in der NATO sowie eine aktive Rolle Deutschlands in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zentrale Elemente unserer Sicherheitsstrategie."

Die endgültige Fassung des Bundestags-Wahlprogramms lag bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks nicht vor. Laut einem Bericht des ZDF wurde dies so auf dem Parteitag beschlossen.

Schon 2016 forderten allerdings mehrere Parteimitglieder in einem Parteitags-Antrag den Austritt aus der NATO. Der Thüringer Partei- und Fraktionsvorsitzende Björn Höcke zog damals den Austritt in einem Gespräch mit der WELT explizit in Betracht. Im Sommer 2023 – im Vorfeld der Europawahlversammlung – hatten laut einem Bericht der WELT sieben AfD-Landesvorsitzende für das Europawahlprogramm der Partei beantragt, "dass die Staaten Europas die Verantwortung für ihre Sicherheit endlich selbst in die Hand nehmen – statt unter den vermeintlichen Schutzschirm eines fernen und eigennützigen Hegemons zu flüchten". Zu den Antragstellern zählte laut WELT auch der bayerische AfD-Vorsitzende Stephan Protschka. Über den Antrag berichtete auch die SZ.

Ende 2024 sagte auch der AfD-Parteichef Tino Chrupalla im Interview mit der WELT auf die Frage, ob Deutschland sich von der NATO abwenden solle: "Die Nato ist aktuell kein Verteidigungsbündnis. Eine Verteidigungsgemeinschaft muss die Interessen aller europäischen Länder akzeptieren und respektieren – also auch die Interessen von Russland. Wenn die Nato das nicht sicherstellen kann, muss sich Deutschland überlegen, inwieweit dieses Bündnis für uns noch nutzbringend ist."

Menschengemachter Klimawandel: Immer noch real

Die Behauptung:

Stephan Protschka (AfD) wird auf den menschengemachten Klimawandel angesprochen. Protschka sagt: "Menschgemacht lassen wir mal weg, Klimawandel gibt es schon seit Bestehen der Erde seit über vier Milliarden Jahren, bis vor kurzem gab es noch eine Kleine Eiszeit."

Richtig oder falsch?

Falsch. Es besteht wissenschaftlicher Konsens darüber, dass der aktuelle Klimawandel menschengemacht ist. Für die aktuelle Klimaerwärmung ist vor allem das Verbrennen fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Gas verantwortlich. Die Erde erwärmt sich deswegen deutlich schneller als in der Vergangenheit.

Die Fakten:

Verschiedene Aspekte des menschengemachten Klimawandels haben der BR24 #Faktenfuchs und andere Faktenchecker immer wieder behandelt. Etwa, warum die heutige Klimakrise nicht mit früheren Wärmephasen vergleichbar ist.

So ist etwa entscheidend, dass sich frühere Klima-Veränderungen über Jahrtausende entwickelten. Heute sind es deutlich kürzere Zeiträume. Der Klimaforscher Mojib Latif sagte 2023 im Gespräch mit dem #Faktenfuchs mit Blick auf den aktuellen Klimawandel: "Das, was wir gerade erleben, ist quasi ein Wimpernschlag. Wir reden jetzt über Jahrzehnte."

Über die Kleine Eiszeit haben wir 2019 hier berichtet. Danach ist nicht hundertprozentig auszuschließen, dass eine Abkühlung in manchen Regionen der Erde vorübergehend auftritt. Allerdings: Auf die globale Durchschnittstemperatur hat das keinen großen Einfluss, diese steigt, ausgelöst hauptsächlich durch von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen.

Hier finden Sie einen Artikel über den Konsens unter Wissenschaftlern, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Auch in diesem #Faktenfuchs wird darüber berichtet. Und hier fassen wir zusammen, mit welchen Strategien der Klimawandel verharmlost wird.

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Alexander Dobrindt, CSU

Alexander Dobrindt, Spitzenkandidat CSU

Die Behauptung:

Alexander Dobrindt, CSU: "Ich habe den Bundeswirtschaftsminister gefragt, wie hoch ist die Abhängigkeit geworden nach dem Abschalten der drei Kernkraftanlagen? Das heißt, an wie vielen Tagen haben wir vor dem Abschalten Strom aus dem Ausland bezogen und an wie vielen Tagen beziehen wir nach dem Abschalten Strom aus dem Ausland? Vor dem Abschalten haben wir an 20 Prozent aller Tage Strom aus dem Ausland bezogen. Nach dem Abschalten jetzt: An 75 Prozent aller Tage müssen wir Strom aus dem Ausland beziehen."

Der Kontext:

Die Diskussion dreht sich um die Energieversorgung in Deutschland. Dobrindt wurde zuvor gefragt, ob Atomkraft das Allheilmittel sei.

Richtig oder falsch?

Es ist korrekt, dass Deutschland seit dem Jahr 2023 mehr Strom aus dem Ausland bezogen hat, als es ins Ausland geliefert hat. Experten zufolge liegt das aber nicht primär am Atomkraft-Aus. Eine "Abhängigkeit" gebe es sowieso nicht, sagen Experten. Deutschland habe genug Kraftwerke, um sich selbst zu versorgen. Wegen des europäischen Strommarkts sei es aber billiger, von den Nachbarländern einzukaufen.

Die Fakten:

Die von Dobrindt genannten Zahlen stammen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), so sein Büro auf #Faktenfuchs-Anfrage. Das BMWK habe geantwortet: Vom 1. Januar bis 15. April 2023 (vor Abschaltung der AKW) sei an gut 20 Prozent der Tage mehr Strom aus dem Ausland importiert als dorthin exportiert worden. Das nennt man "Netto-Import". Im Zeitraum 16. April bis 31. Dezember 2023 sei an 75 Prozent der Tage netto importiert worden.

Richtig ist: Deutschland war seit 2002 Strom-Exporteur, seit 2023 importiert es aber wieder mehr. Bevor die drei letzten deutschen AKW, darunter Isar 2 in Bayern, im April 2023 abgeschaltet wurden, erzeugten sie ungefähr sechs Prozent des in Deutschland produzierten Stroms.

Hängt der gestiegene Import also mit dem Atomkraft-Aus zusammen? "Ich würde nicht sagen, dass das hauptsächlich darauf zurückzuführen ist", sagt der Energieökonom Andreas Fischer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln dem #Faktenfuchs. Schon Jahre zuvor habe es Studien gegeben, in denen davon ausgegangen wurde, dass Deutschlands Stromimport bis 2030 ansteigen werde. "Von daher war das erwartbar und auch absehbar und nur teilweise abhängig von kurzfristigen Entwicklungen", sagt Fischer.

Warum steigt also der Import? Zum einen habe Deutschland mehr Importmöglichkeiten, sagt Fischer. Zum Beispiel durch neue Unterseekabel, wie seit 2021 "NordLink" nach Skandinavien. Zum anderen entscheide der Preis: Deutschland habe Kapazitäten zur Stromerzeugung aus Kohle und Gas, das sei aber teuer. Deshalb kaufe man schlicht aus anderen europäischen Ländern, wo Strom günstiger produziert werde.

"Grund für die Importe (2023, Anm. d. Red.) waren insbesondere niedrige Strompreise der Nachbarländer im Sommer", schreibt auch der Energiemarktexperte Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in einer Auswertung für das Jahr 2023. Andere Länder könnten wegen des Zubaus von erneuerbaren Energien günstigen Strom produzieren, sagte Burger der Tagesschau. Laut der Denkfabrik Agora Energiewende machten 2023 die Erneuerbaren 49 Prozent der deutschen Strom-Importe aus. Kernkraft lag bei 24 Prozent.

Gestiegene Importe sind aber nicht gleich Abhängigkeit. "Deutschland könnte auch inländisch seinen gesamten Bedarf decken. Das wäre halt volkswirtschaftlich teurer", sagte auch Experte Leonhard Probst vom ISE dem #Faktenfuchs im Dezember 2024. Denn im europäischen Strommarkt wird nach einem Prinzip von Angebot und Nachfrage produziert: Das günstigste Kraftwerk produziert, das höchste Gebot bekommt den Strom.

Deutschland könnte selbst Strom produzieren, müsste dafür aber fossile Energieträger importieren. Die Bundesnetzagentur sagte der Tagesschau im April 2024: "Deutschland verfügt über ausreichend Erzeugungskapazität, um den Strombedarf auch ohne Importe jederzeit zu decken."

Andreas Fischer vom IW Köln schrieb in einem Beitrag ebenfalls: "Dieser Importüberschuss ist aber kein Zeichen dafür, dass der deutsche Kraftwerkspark nicht mehr ausreicht, die eigenen Bedarfe zu decken." Stattdessen werde Strom schlicht dann importiert, wenn er in den Nachbarländern günstiger sei und Leitungen nach Deutschland frei. "Die gestiegenen Stromimporte sind daher kein Grund zur Sorge", schreibt Fischer. Die deutsche Stromversorgung werde dadurch effizienter und günstiger.

Der Nettoimport machte 2023 und 2024 circa zwei und sechs Prozent des gesamten deutschen Stromverbrauchs aus. Zum Vergleich die Zahlen:

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Martin Hagen, FDP

Martin Hagen, Spitzenkandidat FDP

Die Behauptung:

Martin Hagen, FDP: "Deutschland braucht eine Steuerreform, weil die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland stärker als in fast jedem anderen Land belastet sind von der Einkommenssteuer."

Richtig oder falsch?

Teils, teils. Differenziert betrachtet liegt Deutschland bei der Besteuerung von Alleinverdienern ohne Kinder über dem OECD-Durchschnitt, bewegt sich hier aber im oberen Mittelfeld, nicht an der Spitze. Bei den anderen Familienkonstellationen liegt Deutschland eher im unteren Bereich. Beim internationalen Vergleich von Einkommensteuer plus Sozialabgaben liegt Deutschland auf Platz zwei.

Die Fakten:

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schlüsselt die durchschnittliche Einkommensteuer pro Land für insgesamt acht verschiedene Familienkonstellationen auf, unter anderem Alleinverdiener ohne Kinder, verheiratete Alleinverdiener mit zwei Kindern und verheiratete Doppelverdiener mit zwei Kindern (Tabelle 3.4.). Das Bundesfinanzministerium greift die drei oben genannten Haushaltstypen auf Basis der OECD-Daten in einer Veröffentlichung auf.

  • Für Alleinstehende ohne Kinder gilt demnach ein Durchschnittssteuersatz von 17,0 Prozent. Damit liegt Deutschland im oberen Mittelfeld, schreibt das Bundesfinanzministerium in der Veröffentlichung.
  • Durch das Ehegattensplitting liegt Deutschland bei der Besteuerung von verheirateten Alleinverdienern mit zwei Kindern im unteren Bereich: nur in Polen, der Slowakei und in Tschechien zahlt diese Gruppe laut OECD weniger Einkommensteuer.
  • Dritte Konstellation: In einem Doppelverdiener-Haushalt verdient eine Ehepartner durchschnittlich, der andere Ehepartner verdient 67 Prozent des Durchschnittseinkommens. Das Paar hat zwei Kinder. Hier liegt Deutschland mit 9,1 Prozent Einkommensteuerbelastung im unteren Drittel – und deutlich hinter dem Spitzenreiter Dänemark mit einem Steuersatz von 35,0 Prozent.

Am Beispiel Dänemark zeigt sich aber, wieso der reine Vergleich der Einkommenssteuern irreführend sein kann. Andreas Haufler, Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre der Ludwig-Maximilians-Universität München schreibt in einer E-Mail an den #Faktenfuchs: "Wenn man nur die Einkommenssteuern vergleicht, ist das international ein eher 'schiefer' Vergleich, weil etwa Dänemark seine Ausgaben für Rente und Gesundheit weitestgehend aus Steuereinnahmen finanziert, ganz anders als Deutschland."

Er empfiehlt deshalb für den internationalen Vergleich der Steuerlast den Blick auf Einkommensteuer plus Sozialabgaben – so wie ihn die OECD ebenfalls jährlich veröffentlicht. Im internationalen Vergleich der Einkommensteuer und Sozialabgaben liegt Deutschland unter den Industrieländern auf Platz zwei von 38 – nur in Belgien muss ein Durchschnittsverdiener höhere Steuern und Sozialabgaben zahlen als bei uns.

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Hubert Aiwanger, Freie Wähler

Hubert Aiwanger, Spitzenkandidat Freie Wähler

Die Behauptung:

Hubert Aiwanger, Freie Wähler: "Wir müssen beim Bürgergeld ran. Für die Arbeitsfähigen, die zumutbare Arbeit ablehnen, die dürfen kein Geld mehr kriegen. Und die Ukrainer müssen raus aus dem Bürgergeld, die brauchen wir am Arbeitsmarkt. Dann sparen wir zweistellige Milliardenbeträge."

Richtig oder falsch?

Theoretisch richtig, praktisch unrealistisch. Die Berechnung der Kosten ist korrekt, wenn auch verkürzt. In der Praxis gibt es laut Experten jedoch zahlreiche Einschränkungen, außerdem müssten derzeit nicht realistische wirtschaftliche Voraussetzungen erfüllt sein.

Die Fakten:

Die Zahlen, auf die sich Hubert Aiwanger für seine Rechnung bezieht, sind die offiziellen Zahlen der Bundesregierung bzw. der Bundesagentur für Arbeit zu Ukrainern, die Bürgergeld beziehen und den arbeitslosen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Das antworten die Freien Wähler auf eine Anfrage des #Faktenfuchs. Aiwanger hat für seine Berechnung die Zahl der Empfänger mit dem Regelsatz der Bürgergeldleistungen für Alleinstehende multipliziert.

So kommt Aiwanger im ersten Teil seiner Rechnung etwa auf Einsparungen von rund 3,4 Milliarden Euro jährlich, wenn rund 500.000 erwerbsfähige Ukrainer keinen Bürgergeld-Regelsatz mehr bekämen (505.000 Ukrainer x 563 Euro x 12 Monate). Die zusätzlichen Kosten für Wohnung und Heizen, die Bürgergeldempfänger erhalten, sind in dieser Rechnung nicht berücksichtigt.

Um Aiwangers Betrag zu erreichen, müssten also alle erwerbsfähigen Ukrainer Arbeit finden, ohne aufzustocken. Finden sie keine Arbeit, bekämen sie weiterhin Leistungen über das Asylbewerberleistungsgesetz. Diese sind zwar etwas geringer. Dennoch sagt Stefanie Seeler, Senior Economist am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln: "Eine Herausnahme der Ukrainer aus dem Bürgergeld würde höchstens eine Milliarde Euro im Jahr sparen". Dem Bürgergeld für Alleinstehende von monatlich 563 Euro stehen Asylbewerberleistungen von 441 Euro im Monat gegenüber.

Hieße: Damit man bei den ukrainischen Leistungsempfängern mehr als eine Milliarde Euro einsparen kann, müssten die arbeitslosen erwerbsfähigen Ukrainer einen Job finden, bei dem sie ohne zusätzliche Transferleistungen auskommen.

Das gilt auch für die rund 1,8 Millionen nicht-ukrainischen Bürgergeldempfänger, die arbeiten könnten, die Aiwanger im zweiten Teil seiner Berechnung heranzieht. Sie beziehen zusammen rund 12 Milliarden Euro Bürgergeld im Jahr, machen also alleine einen zweistelligen Milliardenbetrag aus.

IW-Ökonomin Seele schreibt dem #Faktenfuchs: "Aus meiner Sicht müssten für 'zweistellige Milliardeneinsparungen beim Bürgergeld' rund ein Viertel der Leistungsberechtigten in Arbeit kommen. Das scheint bei der aktuellen Arbeitsmarktlage unrealistisch." Ein Viertel der Leistungsempfänger entspräche einem Großteil der potentiell Erwerbsfähigen. Denn neben arbeitslosen Personen, die arbeiten könnten, erhalten etwa auch Kinder und Erwerbsunfähige Bürgergeld, insgesamt sind es rund 5,7 Millionen Menschen. Seele betont, nur ein Bruchteil der 1,8 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger lehne Arbeitsangebote strukturell ab.

Um die Leistungen für sie komplett einzusparen, müsste es entsprechende Arbeitsplätze für diese Menschen geben. Oder Leistungen müssten komplett verweigert werden können, falls die erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger Arbeit ablehnen. Eine komplette Kürzung ist laut aktueller Auffassung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nicht erlaubt.

"Selbst wenn die Sanktionen konform mit dem Verfassungsgerichtsurteil geschärft werden, werden nicht in kurzer Frist alle arbeitslosen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Arbeit finden", so Seele.

Langfristig könne nur eine stabil wachsende Wirtschaft die Zahl der Arbeitssuchenden in Grundsicherung reduzieren. "Mit Blick auf die aktuellen Konjunkturprognosen für Deutschland im Jahr 2025 sehe ich diese Rahmenbedingungen nicht", schreibt Seele dem #Faktenfuchs. Daher gelte es, die Standortbedingungen in Deutschland so zu verbessern, dass Unternehmen wieder im großen Stil einstellen wollen. "Bis Strukturreformen jedoch ihre Wirkung auf dem Arbeitsmarkt entfachen, werden einige Jahre vergehen."

Auch das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) schreibt dem #Faktenfuchs, dass Aiwangers Aussage rechnerisch zwar nicht falsch sei. "Wichtige relevante Aspekte" würden jedoch außen vor gelassen, wie die oben angesprochenen Wohnkosten oder die Effekte auf andere Sozialleistungen. "Bei solchen Analysen ist es in der Regel kaum möglich, alle erforderlichen Größen abzuschätzen", schreibt eine Sprecherin des IAB.

Es gebe zahlreiche Einschränkungen, die bei einer Interpretation der Daten zu beachten seien. "Aufgrund dieser ist es extrem vereinfachend und kann darüber hinaus auch irreführend sein, den Nettonutzen einer Maßnahme (in diesem Fall einer Abschaffung des Bürgergelds für Geflüchtete und arbeitsfähige Personen) in einer einzigen Zahl zusammenzufassen."

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Carsten Träger, SPD

Carsten Träger, Spitzenkandidat SPD

Die Behauptung:

Carsten Träger, SPD: "Wir haben den Bereich Asyl und wir haben den Bereich der Zuwanderung. Und Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Die Wirtschaftsexperten, die sagen uns alle, wir brauchen 300.000 bis 400.000 Menschen (unverständlich) …

Der Kontext:

Die Runde diskutiert über Migration. Träger bezieht sich auf die Zuwanderung zum Arbeitsmarkt, wie aus seinen anschließenden Äußerungen in der Sendung deutlich wird.

Richtig oder Falsch:

Größtenteils richtig. Es stimmt, dass Deutschland Zuwanderung braucht, um die Zahl an Arbeitskräften langfristig zu stabilisieren. Arbeitsmarktforscher sprechen in aktuellen Berechnungen von 270.000 bis 350.000 erwerbsfähigen Personen jährlich, die nach Deutschland kommen und bleiben müssten. Nur so könne der absehbare Arbeitskräftebedarf gedeckt werden.

Die Fakten:

Aufgrund der demografischen Entwicklung wird der deutsche Arbeitsmarkt schrumpfen. Wenn es keinen Ausgleich für die wegfallenden Arbeitskräfte gibt, werden bis 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen, sagte Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 2023 im Interview mit dem #Faktenfuchs.

Um den Arbeitsmarkt zu entlasten, sei eine Mischung an Maßnahmen erforderlich, sagten 2023 verschiedene Experten dem #Faktenfuchs. Dabei geht es auch darum, dass Ältere länger arbeiten und Frauen weniger in Teilzeit arbeiten. Ein Teil der Lösung sei aber auch Migration.

Das IAB hat 2024 gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung eine aktuelle Berechnung vorgestellt: Demnach müssten jedes Jahr zwischen 270.000 und 350.000 Personen aus dem Ausland nach Deutschland kommen und bleiben, um den Bestand an Arbeitskräften, den es 2022 in Deutschland gab, langfristig zu sichern.

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