Ein Mitglied der Protestgruppe "Letzte Generation" besprüht einen Weihnachtsbaum in der Leipziger Mädler-Passage mit oranger Farbe.
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Ein Mitglied der Protestgruppe "Letzte Generation" besprüht einen Weihnachtsbaum in der Leipziger Mädler-Passage.

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Kriege, Klima, Kürzungen – Warum es 2023 so viele Proteste gab

Kriege, Klima, Kürzungen – Warum es 2023 so viele Proteste gab

Ob für mehr oder weniger Klimaschutz, für oder gegen Waffenlieferungen – der Protestforscher Jannis Grimm erklärt, warum 2023 so viele Menschen demonstrierten. Und warum er sich Sorgen um die Versammlungsfreiheit in Deutschland macht.

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Zehntausende, die wegen des Gazakriegs und des Ukrainekriegs auf die Straße gehen. Klimaaktivisten, die sich auf Straßen festkleben oder Weihnachtsbäume besprühen. Und zuletzt wütende Landwirte auf Traktoren, die gegen die Abschaffung des Agrardiesels demonstrierten. 2023 war wieder ein Jahr voller Proteste.

Aktionen der "Letzten Generation" prägten Protestjahr 2023

Jannis Grimm arbeitet am Zentrum für interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung an der Freien Universität Berlin. Er bestätigt, dass das Jahr 2023 besonders protestreich war: Ob in Lützerath, Demos für oder gegen Waffenlieferungen in die Ukraine, Aktionen der "Letzten Generation" oder die Solidaritätsproteste mit Israel oder Palästina – all diese Proteste hätten das Jahr "ziemlich stark geprägt", erklärt Grimm.

Lilli Gómez ist Aktivistin bei der "Letzten Generation". Sie geriet in die Schlagzeilen, als sie 2022 mit Mitstreiterinnen die Spitze des Weihnachtsbaums vor dem Brandenburger Tor absägte. Im Juni verschaffte sie sich illegal Zutritt zu einem Flugplatz auf Sylt, um sich dort an ein Geschäftsflugzeug zu kleben. Der in ihren Augen unverhältnismäßig hohe CO₂-Ausstoß der Privatjets mache sie "unfassbar wütend".

Die Aktionen erregten großes Aufsehen – und die Aktivisten der "Letzten Generation" standen wieder in der Kritik. Sie besetzten heuer Rollfelder auf Flughäfen, schmierten zweimal Farbe ans Brandenburger Tor und bewarfen im Sommer auch den bayerischen Landtag mit weißen Farbbeuteln.

Forscher über Proteste: Radikale Antworten auf radikale Krisen

Laut einer Umfrage im Juli dieses Jahres lehnten 85 Prozent der Menschen in Deutschland die Aktionen der "Letzten Generation" ab, gegenüber dem Vorjahr unterstützten sie nur noch halb so viele. CDU-Chef Friedrich Merz bezeichnete sie als "Straftäter" – und mit dieser Meinung ist er wohl nicht allein in Deutschland. Es gab Strafverfahren, eine Razzia, manche Aktivisten wurden verurteilt. Das Landgericht München geht sogar einen Schritt weiter: Es sieht einen Anfangsverdacht für die Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Jannis Grimm zufolge gehören Proteste zur Geschichte der BRD – viele Errungenschaften wie die Versammlungsfreiheit seien "auf der Straße" erkämpft worden. Aber das "Krisenempfinden" der Menschen habe sich verändert: Angesichts globaler Verwerfungen wie Klimawandel, Migration und Kriegen sei "ein sehr großes Unsicherheitsgefühl" in der Bevölkerung entstanden. Demnach haben viele "das Gefühl, dass radikale Krisen und radikale Problemlagen radikale Antworten erfordern, die so in dem Maße nicht in ausreichender Form gegeben werden durch politische Entscheidungsträger". Viele fühlten sich nicht ausreichend gehört, was sie wiederum auf die Straße treibe.

Proteste als "Ausdruck einer politisierten Bürgerschaft"

Menschen gingen aber nicht nur für Maßnahmen für mehr Klimaschutz auf die Straßen, sondern auch gegen diese. Anfang Juli demonstrieren mehrere Tausend Menschen in Erding gegen das sogenannte Heizungsgesetz der Bundesregierung. In den vergangenen Tagen protestieren Landwirte gegen die Abschaffung der Agrardiesel-Subventionen – eine Sparmaßnahme der Bundesregierung. Sie beklagen unter anderem, dass die Bundesregierung keine Wertschätzung für die Landwirte habe.

Grimm sieht in den Protesten per se erst einmal nichts Negatives, sondern versteht sie als "Ausdruck einer politisierten Bürgerschaft". Menschen würden ihr "verfassungsrechtlich verbrieftes Recht, sich zu vereinigen und auf die Straße zu gehen", wahrnehmen – das sei erst einmal etwas Positives. In den Protestaktionen der "Letzten Generation" beispielsweise sehe er viel Hoffnung: "Dass Menschen wirklich glauben, man kann noch etwas verändern und eben nicht zu Hause vor dem Fernseher versauern und sagen: Wir können eh nichts mehr machen."

Polizeikräfte schreiten "massiv" ein

Sorge bereitet dem Forscher hingegen die Art und Weise, wie in Deutschland mit Protest umgegangen wird. Diese habe sich "massiv verändert", so Grimm. Es gebe von staatlicher Seite ein "immer proaktiveres Vorgehen". Dies betreffe zum einen die Ebene der Exekutivgewalt: "Die Art und Weise, wie die Polizei kommuniziert, um Proteste zu delegitimieren, die Art und Weise, wie schnell Proteste aufgelöst werden, wie massiv eingeschritten wird von Polizeikräften."

Das, was man beispielsweise in Lützerath gesehen habe, stelle "eine neue Dimension" dar. Dort räumte die Polizei mit einem massiven Aufgebot den von Klimaaktivisten besetzten Ort im Rheinischen Braunkohlerevier.

Das Gleiche zeige sich auch beim juristischen Vorgehen gegen die Proteste: Als Beispiel nennt Grimm "Ermittlungsparagraphen", die genutzt würden, um eben Hausdurchsuchungen bei Akteuren von sozialen Bewegungen durchzuführen.

Versammlungsfreiheit in Deutschland wurde beschränkt

Der Forscher verweist auf den sogenannten Civicus-Index, der bürgerliche Freiheitsrechte vergleicht. Dort wurde Deutschland dieses Jahr zum ersten Mal herabgestuft. Das bedeutet, dass die Freiheit, zu protestieren und sich öffentlich zu äußern, eingeschränkt wurde.

Begründet wurde dies, so Grimm, mit dem Verbot von Palästina-Solidaritätsdemonstrationen und dem harten juristischen Vorgehen gegen Akteure der "Letzten Generation". Demnach gebe es "ganz de facto und empirisch nachweisbar eine Beschränkung des Versammlungsrechts in Deutschland". Ob diese gerechtfertigt sei – etwa aus Angst um die öffentliche Sicherheit – sei eine andere Frage. "Aber man muss aufpassen, dass da nicht Präzedenzfälle geschaffen werden, die dann später genutzt werden können, um andere Akteure auch einzuschränken."

Viele der Paragraphen und viele der Maßnahmen, die eingeführt wurden und bei Aktionen der "Letzten Generation" zum Einsatz kamen, stammten aus Pandemiezeiten – ein Versuch, Corona-Leugner in ihren Protestaktionen einzuschränken.

Protestthemen werden auch im kommenden Jahr nicht weniger

Werden im kommenden Jahr mehr oder weniger Menschen auf die Straßen gehen? Zumindest global zeichne sich der Trend ab, dass Protest aktuell stetig zunimmt: "In immer mehr Ländern der Welt finden immer größere Proteste statt, in vielen auch Massenproteste", erklärt Grimm. Auch in Deutschland werde es im kommenden Jahr viele Protestthemen geben.

Er sehe keine Anzeichen dafür, dass die Konflikte um Waffenlieferungen für die Ukraine oder auch die Proteste rundum Israel und Palästina bald enden – zu weit entfernt sei eine Lösung. Und auch der Klimawandel wird weiter Menschen auf die Straßen treiben – vor allem, wenn sie hierzulande dessen Folgen verstärkt zu spüren bekommen: "Stellen Sie sich vor, es käme nächstes Jahr zu etwas Neuem wie im Ahrtal, dann werden sicherlich auch die Proteste zunehmen."

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