10.06.21: Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit, verabschiedet sich mit Maske nach der regelmäßigen Pressekonferenz zur Corona-Lage.
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Zur Corona-Zeit war Jens Spahn (CDU) als Bundesminister für Gesundheit auch für die Maskenbeschaffung zuständig. (Archivbild vom 10.06.2021)

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Mehr als die Hälfte vernichtet – Streit um Spahns Corona-Masken

Mehr als die Hälfte vernichtet – Streit um Spahns Corona-Masken

Noch immer hallt die Corona-Zeit nach. Der Gesundheitsausschuss des Bundestags hat sich in einer Sondersitzung mit der Maskenbeschaffung durch Jens Spahn befasst. Der frühere Gesundheitsminister war allerdings nicht vor Ort – sondern sein Nachfolger.

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Es ist nicht so, als hätten die Abgeordneten im Bundestag vor der Sommerpause zu wenig zu tun. Im Gegenteil: Die Gesundheitspolitikerin Martina Stamm-Fibich (SPD) kommt kurz vor Beginn der Sondersitzung im Eiltempo um die Ecke gebogen - das politische Berlin Anfang Juli, es läuft auf Hochtouren. Haushalts-Verhandlungen, Atomausstiegs-Untersuchungsausschuss und jetzt eben auch noch die Frage der Maskenbeschaffung zu Corona-Zeiten.

Der exzessive Maskenkauf des Jens Spahn

Rückblick: März 2020. Corona hat ganz Deutschland in seinen ersten Lockdown gezwungen. Der Bedarf an medizinischer Schutzausrüstung ist groß: Vor allem Atemschutzmasken gelten als lebensnotwendig. Am 27. März 2020 startet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein sogenanntes Open-House-Verfahren. Er garantiert allen Unternehmern, die bis zum 30. April 2020 liefern, für jede FFP2-Maske 4,50 Euro zu bezahlen. Das Ministerium wird daraufhin von Angeboten derart überschüttet, dass die Angebotsfrist auf wenige Tage verkürzt wird. Und obwohl auf diese Weise Milliarden Masken eingekauft werden, folgen weitere Verträge.

Für den Haushaltspolitiker Karsten Klein (FDP) ist das einer der problematischen Punkte bei der Aufarbeitung. Warum, fragt Klein im Gespräch mit BR24, wurde weiter eingekauft, obwohl doch offenbar genug Masken auf dem Markt waren? Natürlich dürfe man das Handeln von damals nicht mit dem Wissen von heute messen. Aber Minister Spahn habe weiter Masken beschafft, obwohl die Bundesregierung das Gegenteil beschlossen hatte.

Lauterbach will die Kosten reduzieren

Im Bundesgesundheitsministerium erkennt man irgendwann, dass zu viel Masken eingekauft wurden – und stellt die Zahlungen ein. Das Ministerium verweigert die Annahme weiterer bestellter Lieferungen, tritt von den Verträgen zurück, in einigen Fällen fordert es eine Rückzahlung aufgrund von schlechter Qualität. Die Lieferanten klagen – und sie bekommen recht. Weshalb nun in Zeiten äußerst knapper Kassen 2,3 Milliarden Euro an Forderungen im Raum stehen. Eine Zahl, die Karl Lauterbach heute nach der Ausschusssitzung bestätigt. Und zwar ohne Zinsen sowie Anwalts- und Gerichtskosten.

Als Spahns Nachfolger hatte der SPD-Politiker zunächst versucht, die Angelegenheit gütlich zu regeln, war aber gescheitert. Nun will er den Bundesgerichtshof anrufen, um eine Klärung herbeizuführen. Bis dahin arbeitet Lauterbach an einer Minimierung der 2,3-Milliarden-Euro-Zahlung, was seiner Meinung auch gelingen kann. Es gelte, den Schaden für den Steuerzahler so niedrig wie möglich zu halten. Spahn für dessen Beschaffungsgebaren direkt attackieren will Lauterbach nicht.

Grüne und FDP denken über Untersuchungsausschuss nach

Aggressiver treten die Grünen auf. Ihr Gesundheitsexperte Janosch Dahmen spricht von einer denkwürdigen Sondersitzung, viele Fragen seien offengeblieben. Dahmen stört sich besonders an einem Unternehmen aus dem Wahlkreis von Spahn, das beim Maskenverkauf fleißig mitgemischt hatte – von dem aber Dahmen erklärt, niemand wisse, wer das Unternehmen überhaupt beauftragt habe. Außerdem stelle sich die Frage: Wer hat die Maskengeschäfte vermittelt? Dahmen kommt zu dem Schluss: "Man wird über einen Untersuchungsausschuss zur Masken-Affäre reden müssen."

Auch die Nürnberger Abgeordnete Kristine Lütke (FDP) hat nach der Sondersitzung mehr Fragen als Antworten, auch sie kann sich einen Untersuchungsausschuss vorstellen. Denn es sei nicht nur finanzieller Schaden entstanden, sondern auch das Vertrauensverhältnis zwischen Politik und Bürgerinnen und Bürgern erschüttert worden. Es gehe um rückdatierte Dokumente im Bundesgesundheitsministerium. Ein Untersuchungsausschuss oder eine Enquête-Kommission könnte hier Klarheit bringen.

Corona-Aufarbeitung: Bürgerräte oder Enquête-Kommission?

Die FDP hat sich zuletzt verstärkt für die Einsetzung einer Enquête-Kommission ausgesprochen, um die Umstände der Maskenbeschaffung, aber auch den generellen Umgang mit der Corona-Pandemie zu beleuchten. Die SPD und auch Teile der Grünen sind eher einer Idee von Bundeskanzler Olaf Scholz zugeneigt.

Scholz hatte angeregt, Bürgerräte zu bilden, in denen Bürgerinnen und Bürger die Pandemie und ihre Folgen besprechen und etwaige Kontroversen zivilisiert austragen können. Erst im Anschluss daran möchte die SPD eine Kommission einsetzen, bei der Expertinnen und Experten sowie Abgeordnete des Bundestags und Vertreter der Bundesländer die Geschehnisse während der Pandemie aufarbeiten.

Schonungsloses Urteil des Bundesrechnungshofs

Einig sind sich alle immerhin darin, dass man künftig deutlich besser auf weltweite Seuchen vorbereitet sein muss. Das betrifft besonders das Bundesamt für Beschaffungswesen, das dem Bundesinnenministerium unterstellt ist. Es betrifft aber auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG). In dem Bericht des Bundesrechnungshofs vom März 2024 über die Beschaffung und Verteilung von Schutzmasken ist zu lesen: "Das BMG muss seine Erfahrungen mit der Beschaffung und Verteilung von Schutzausrüstung kritisch aufarbeiten. […] Eine zentrale Beschaffung und Bevorratung von Schutzausrüstung für das Gesundheitswesen durch den Bund hat sich als ineffizient und unwirtschaftlich erwiesen."

Wie viele der 5,7 Milliarden beschafften Schutzmasken zu einer effektiven Pandemiebekämpfung beigetragen haben, erschließe sich nicht: "Weniger als ein Drittel der Schutzmasken wurde in Deutschland verteilt, mehr als die Hälfte wurde vernichtet oder ist dafür vorgesehen." Der Rechnungshof kommt zu dem schonungslosen Urteil: "Im Ergebnis war der überwiegende Teil der gekauften Schutzmasken ohne Nutzen für die Pandemiebekämpfung."

Zum Video: Streit um Spahns Corona-Masken

Symbolbild: Masken liegen auf einem Haufen
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Symbolbild: Masken liegen auf einem Haufen

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