Blick aus den oberen Rängen hinunter ins fast vollbesetzte Plenum des Bundestags. Ein Mann steht am Rednerpult.
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Archivbild: Sitzung des Bundestags

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Urteil zum Wahlrecht-Zoff naht: Grüne optimistisch, CSU schweigt

Inmitten der Sommerpause des Bundestags verkündet das Bundesverfassungsgericht Ende Juli das Urteil über die umstrittene Wahlrechtsreform der Ampel. Die Grünen im Bundestag zeigen sich zuversichtlich, die CSU hält sich zurück.

Eine solche Übereinstimmung von CSU und Linkspartei hat Seltenheitscharakter: Beide Parteien laufen seit Monaten Sturm gegen die Wahlrechtsreform der Ampel-Parteien, durch die der Bundestag verkleinert werden soll. Einträchtig beklagen beide Parteien eine massive Benachteiligung. Um das neue Wahlrecht noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2025 zu stoppen, zogen beide auf gleich mehreren Wegen vor das Bundesverfassungsgericht. Im April wurde mündlich verhandelt, nun naht die Entscheidung: Das Bundesverfassungsgericht teilte mit, sein mit Spannung erwartetes Urteil am 30. Juli zu verkünden.

Grüne optimistisch, CSU schweigsam

Die Grünen-Bundestagsfraktion zeigt sich optimistisch: "Ich freue mich darauf", schreibt Till Steffen, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, im Kurznachrichtendienst X. Die CSU-Parteizentrale dagegen schweigt nach der Ankündigung des Bundesverfassungsgerichts: CSU-Generalsekretär Martin Huber will sich auf BR24-Anfrage nicht äußern. Es ist ungewöhnlich, dass die Christsozialen sich beim Thema Wahlrechtsreform so zurückhalten.

CSU-Vertreter: "Organisierte Wahlfälschung", "dicker Hund", "Schurkenstück"

In den vergangenen Monaten übertrafen sich CSU-Spitzenvertreter geradezu mit scharfen Worten. Die deutlichsten Formulierungen fand gerade Generalsekretär Huber: Er geißelte die Reform als "organisierte Wahlfälschung" wie in "Schurkenstaaten" sowie als "verfassungswidrigen demokratischen Tabubruch". Die Ampel lege damit "die Axt an unser demokratisches Fundament".

CSU-Chef Markus Söder sprach von einem "dicken Hund", einer "Attacke" auf die Demokratie und einer "Art Wählertäuschung". Und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf der Ampel "einen Akt der Respektlosigkeit" gegenüber Wählerinnen und Wählern, gegenüber der Opposition und gegenüber der Demokratie vor. Dieses Wahlrecht sei "ein großes Schurkenstück".

Neben der CSU als Partei wandten sich auch die bayerische Staatsregierung sowie die Bundestagsabgeordneten von CSU und CDU an Karlsruhe. Und auch die Linke setzte ähnlich wie die Christsozialen auf das Motto "Dreifach hält besser": Linkspartei, Linken-Bundestagsfraktion und Bundestagsabgeordnete der Linken riefen ebenfalls das Bundesverfassungsgericht an.

Streit über die "Grundmandatsklausel"

CSU und Linke stört vor allem die Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel. Diese ermöglichte es jahrzehntelang Parteien, die eigentlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert wären, trotzdem gemäß ihres Zweitstimmen-Ergebnisses in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen - sofern sie mindestens drei Direktmandate holten. Bei der Bundestagswahl 2021 profitierte davon die Linke: Sie kam nur auf 4,9 Prozent der gültigen Zweitstimmen, holte aber drei Direktmandate – und erhielt im Bundestag 36 Sitze.

Für die CSU wäre die Klausel die bundespolitische Lebensversicherung, sollte sie in Zukunft einmal unterhalb der deutschlandweiten Fünf-Prozent-Hürde bleiben. Bisher ist das zwar noch nie passiert, 2021 lagen die Christsozialen mit 5,17 Prozent aber nur denkbar knapp darüber. Sollte es bei der Wahlrechtsreform bleiben, wäre folgendes Szenario möglich: Die CSU könnte über die Erststimmen mehr als 40 Wahlkreissieger in Bayern stellen, bei einem bundesweiten Zweitstimmen-Ergebnis von weniger als fünf Prozent aber dennoch ohne einzigen Bundestagsabgeordneten bleiben.

Angesichts des Verlaufs der mündlichen Verhandlung im April äußerten mehrere Beobachter die Vermutung, dass die Richterinnen und Richter Teile der Reform beanstanden könnten. Sollte es tatsächlich so kommen, müsste der Bundestag mit Blick auf die nächste Wahl schnell nachbessern, denn seit 27. Juni dürfen bereits Wahlkreiskandidaten bestimmt werden. Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung wird der Bundestag eigentlich in seiner Sommerpause sein, die dieses Wochenende beginnt und zwei Monate dauert.

Bundestag soll dauerhaft kleiner werden

Die Wahlrechtsreform soll dafür sorgen, dass der Bundestag ab der nächsten Wahl dauerhaft auf 630 Mandate verkleinert wird. Künftig soll auf Überhang- und Ausgleichsmandate ganz verzichtet werden. Durch diese war der Bundestag immer weiter gewachsen, auf zuletzt 736 Abgeordnete. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mit den Erststimmen mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr nach Zweitstimmen Bundestagsmandate zustehen. Davon profitierte zuletzt vor allem die CSU. Um das Zweitstimmenverhältnis weiter korrekt abzubilden, bekommen die anderen Parteien dann Ausgleichsmandate.

Nach den neuen Regeln kann es künftig vorkommen, dass ein Bewerber in seinem Wahlkreis die relative Mehrheit der Stimmen holt, aber trotzdem nicht in den Bundestag einzieht. Darüber hinaus soll die Grundmandatsklausel entfallen. Mitte März 2023 wurde die Reform im Bundestag beschlossen: Für das Gesetz stimmten 400 Abgeordnete, dagegen 261.

Söder: Rücknahme ist Koalitionsbedingung

Sollte Karlsruhe das Wahlrecht nicht kippen, will CSU-Chef Söder nach der Bundestagswahl eine Rücknahme politisch erzwingen. "Eine Regierungsbeteiligung der CSU kann es nur geben, wenn die Wahlrechtsänderungen rückgängig gemacht werden", sagte Söder Ende 2023 in einem dpa-Interview. "Das ist Grundbedingung für eine Koalition."

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