27.08.2024, Thüringen, Jena: Olaf Scholz (SPD, M), Bundeskanzler, steht bei einer SPD-Wahlkampfveranstaltung auf der Bühne. Am 01. September 2024 wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Foto: Hannes P. Albert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Hannes P Albert
Audiobeitrag

Wahlkampf SPD in Jena

Audiobeitrag
>

Vor den Ost-Wahlen: Wie die Ampelparteien kämpfen

Vor den Ost-Wahlen: Wie die Ampelparteien kämpfen

Vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen steht die Ampel unter Druck – erst recht nach dem Anschlag in Solingen. Die Regierungsparteien in Berlin müssen in beiden Bundesländern um den Wiedereinzug in die Landtage zittern.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Der Kanzler hat seine Wahlkampfstimme aufgelegt, er kann ja durchaus sehr laut werden, wenn er denn will. "Einen schönen guten Tag auf dem Marktplatz, wo wir alle zusammenstehen", brüllt Scholz also in Jena, auch gegen die Störer, die hinten versuchen, den Sozialdemokraten aus dem Takt zu bringen. Scholz lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. "Schön, dass alle da sind", sagt Olaf Scholz.

Gegenwind für die Sozialdemokraten in Thüringen

Aber schön sind die Zeiten nicht, speziell nach dem Anschlag in Solingen, und generell für die SPD im Osten insgesamt. In Thüringen ist sie an der Regierung, in Sachsen auch – und in beiden Bundesländern liegt sie derzeit bei etwa sechs Prozent. Wie kann da der Kanzler helfen? Der Thüringer SPD-Spitzenkandidat Georg Maier, Innenminister in der rot-rot-grünen Minderheitsregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke), gibt auf Nachfrage von BR24 unumwunden zu: "Die Bedingungen sind nicht einfach für uns". Schon vor dem Solinger Anschlag war die Ampel mehr Hemmschuh als Motivationshilfe für die sozialdemokratischen Wahlkämpfer im Osten, "da bläst uns der Wind voll ins Gesicht", seufzt Maier.

Sachsen liest Scholz die Leviten

Ähnlich stürmisch stellt sich die Lage in Sachsen dar. Auch hier ist der Kanzler vor Ort, in Delitzsch etwa, Nordsachsen, liebevoll sanierter Stadtkern, gute Infrastruktur, aber auch hier wenig Liebe für die Ampel. Vor allem, was die Flüchtlingspolitik betrifft. "Wir haben es eigentlich übelst satt, ja", schimpft ein Mann im Theater der Stadt. Die SPD hatte eingeladen zur Veranstaltung "Sag' mal, Sachsen". Und Sachsen gibt Scholz einiges zu hören. Er sehe das größte Problem bei Herrn Scholz, sagt Alban, 23 Jahre aus Leipzig, weil der sage, wir müssen jetzt abschieben, und das passiere irgendwie nicht.

Schafft es die SPD über die 5-Prozent-Hürde?

Scholz scheint sich die Kritik zu Herzen genommen zu haben. Er erklärt seine Politik, und er gibt sich optimistisch, was die Wahl betrifft. "Die SPD braucht mehr als zehn Prozent, danke", bestärkt er einen Zuhörer, der gefragt hatte, wie schwach die SPD in Sachsen eigentlich noch werden will. Bei den sächsischen Sozialdemokraten laufen Wetten, heißt es, dass man die Fünf-Prozent-Hürde überspringen werde.

Warum überhaupt SPD wählen, wird die Spitzenkandidatin Petra Köpping am Ende der Veranstaltung in gefragt. Als Korrektiv, sagt sie, als soziales Korrektiv zur CDU. Die nämliche brauche einen Partner an ihrer Seite. Und das solle bitte die SPD sein. Es klingt fast ein bisschen flehend.

Haustürwahlkampf bei den Grünen

Unterwegs mit Kassem Taher Saleh. Der 30-Jährige kam als Flüchtling aus dem Irak nach Sachsen. Jetzt sitzt er für die Grünen im Bundestag. Der Bauingenieur steht im sächsischen Naundorf vor einem verschlossenen Hoftor. Was er gleich erlebt, wiederholt sich heute noch ein paar Mal: klingeln, warten, keine Antwort.

Der Bundestagsabgeordnete unterstützt seinen Landesverband beim Haustürwahlkampf in der Sächsischen Schweiz. Aber viele Türen bleiben für den Grünen heute zu.

Kein einfaches Pflaster für die Grünen

An einem Mehrfamilienhaus mit weißen Rosen im Vorgarten hat das Wahlkampfteam mehr Glück: Eine ältere Frau öffnet. Der Grünen-Politiker drückt ihr einen Flyer in die Hand und wünscht ein schönes Wochenende. Richtige Gespräche kommen kaum zustande. Dass Taher Saleh aus Sachsen kommt, ist aber nicht zu überhören. "Nu", sagt er immer wieder – sächsisch für Ja.

Sachsen: kein einfaches Pflaster für die Grünen. Außerhalb der größeren Städte hat die Partei wenig Mitglieder, die Wahlkampf machen könnten. In Naundorf winken manche Bewohner schon von Weitem ab. Taher Saleh will sich davon aber nicht entmutigen lassen. "Das ist überhaupt nicht frustrierend", sagt er BR24. Für ihn sei es völlig ok, wenn Leute mit ihm nicht ins Gespräch kommen wollen. Das sei Teil der Demokratie.

CDU und AfD dominieren den Wahlkampf

Wahlplakate der Grünen sind rar in dem kleinen Dorf oberhalb der Elbe. Dafür gibt es umso mehr Wahlwerbung von CDU und AfD. Etwa jeder Dritte hat hier zuletzt die Alternative für Deutschland gewählt. Den gebürtigen Iraker Taher Saleh schreckt das nicht. Der 30-Jährige geht auf einer Pflasterstraße Richtung Ortsrand. Im Hintergrund schimmern die Elbsandsteine in der Abendsonne.

Im Vorgarten eines orange-gestrichenen Hauses wartet schon eine Naundorferin. Stolz zeigt sie auf die Solaranlage auf ihrem Hausdach und schwärmt: "Grüne Natur. Schon 6.000 KW seit Mai." Das sei viel besser als Heizöl zu verbrennen. Die Flyer der Grünen nimmt sie gerne.

Kretschmer regiert mit Grünen – und bekämpft sie

Noch regieren die Grünen in Sachsen mit. Aber Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) macht keinen Hehl daraus, dass er die Grünen am liebsten loswerden will. Im Wahlkampf geht er die Partei immer wieder hart an. Je nach Wahlausgang könnte Kretschmer aber wieder auf die Grünen angewiesen sein.

FDP setzt auf Berliner Prominenz

Die Wahlen in Sachsen und Thüringen drohen für die dritte Ampelpartei, die FDP, zu einem Desaster zu werden. In beiden Ländern kommen die Liberalen in Befragungen auf so wenig Zustimmung, dass sie von Umfrageinstituten schon gar nicht mehr in Prozentzahlen dargestellt werden. So fahren die Freien Demokraten im Wahlkampf-Endspurt alles auf, was sie haben. Sie setzen auf ihren prominentesten Kopf: Christian Lindner.

Der Parteichef reist nach Meißen, um dort in einer Firmenhalle im Industriegebiet mit FDP-Anhängern und interessierten Wählerinnen und Wählern zu diskutieren. Ein sogenannter Town-Hall-Termin: Bürger stellen Fragen, der Parteivorsitzende antwortet und erklärt seine Politik. Viele kommen, weil sie Lindner mal live erleben wollen. Die Prominenz des Parteichefs hilft dem bisher wenig prominenten Spitzenkandidaten der Sachsen-FDP, Robert Malorny.

Fragen zur Wirtschaftslage, Rente, Migration

Die Menschen in Meißen stellen viele kritische Fragen: zur Wirtschaftslage, zur Rente, zum Krieg in der Ukraine und nach dem Attentat in Solingen, vor allem auch zur Sicherheitspolitik und Migration. Der Bundesfinanzminister verspricht den Leuten, Zuwanderung stärker zu begrenzen. Es müsse gelten: "Wir entscheiden, wer kommt, wer darf bleiben, wer muss gehen." Etwa zwei Stunden nimmt sich Lindner für die Debatte mit den Bürgerinnen und Bürgern Zeit.

Lindner hofft auf Regierungsbeteiligung

In den Städten versucht Lindner auf größeren Bühnen zu überzeugen – zum Beispiel in der Dresdner Innenstadt. Der Parteichef ruft den Menschen zu, am Sonntag zur Wahl zu gehen und ihr Kreuzchen bei den Liberalen zu machen. Nur wenige Tausend Stimmen würden reichen, um die FDP in den Landtag und vielleicht sogar in die Regierung zu bringen, erklärt der Minister. Ein Aufruf, der auf dem großen Platz zu verhallen droht. Denn es sind nur wenige Menschen gekommen – trotz vieler Werbeplakate.

Auch ein bisschen Ampel-Bashing darf offenbar nicht fehlen. Die Arbeit mit den Koalitionspartnern SPD und Grüne auf Bundesebene sei "nicht jeden Tag ein Zuckerschlecken – nicht in der Finanzpolitik, erst recht nicht in der Einwanderungspolitik". Die Vorstellungen liegen weit auseinander, so Lindner. Die Abgrenzung von SPD und Grünen hilft zwar vor Ort, die Stimmung im Publikum zu heben, aber nicht dabei, in den Umfragen zuzulegen. Das haben Wahlkämpfe in anderen Bundesländern schon gezeigt.

Veränderte Parteienlandschaft macht FDP zu schaffen

Einer der Gründe für die schwierige Lage der FDP ist die veränderte Parteienlandschaft. Vor allem das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die AfD wildern in Wählergruppen, die früher auch mal die Liberalen gewählt haben, sagen Politikerwissenschaftler. Parteichef Lindner stemmt sich dagegen: "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auf den letzten Metern jetzt zulegen werden."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!