Russland Präsident Wladimir Putin.
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Warum Putins "Kriegskonjunktur" bröckelt

Warum Putins "Kriegskonjunktur" bröckelt

Goldbarren per Kurier und kiloweise US-Bargeld aus Afrika: Russlands Kriegskonjunktur führt zu bizarren Auswüchsen in der Wirtschaft im Land. Politologen warnen vor neuen Risiken durch die Angriffe auf russisches Territorium.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Das Wirtschaftsleben in Russland ist mittlerweile exotisch geworden", so der russische Ökonom Igor Lipsitz auf seinem Telegram-Channel. Er verweist darauf, dass Moskau neuerdings US-Bargeld aus dem afrikanischen Ruanda importiere, zuletzt 29 Millionen Dollar mit einem Gewicht von rund 300 Kilo.

Und damit nicht genug der bizarren Erscheinungsformen von Putins Kriegskonjunktur: Die russische Zentralbank habe angesichts eines schwunghaften Schwarz- und Graumarkts den Überblick über die Wechselkurse verloren. Lipsitz rät seinen Lesern, sich angesichts der ökonomischen Verwerfungen an den Ratschlag des romantischen Schriftstellers Fjodor Tjuttschew (1803 – 1873) zu halten: "Schweige, verbirg dich und halte deine Gefühle und Träume geheim …"

Optimismus herrsche "nur auf dem Papier", heißt es bei den kremlkritischen russischen Experten "Neoreshkins" (externer Link): "Es gibt jetzt einfach keinen Grund mehr für Wirtschaftswachstum; selbst das Doping durch die Rüstung bringt nicht mehr die gewünschte Wirkung, sondern beschleunigt allenfalls die Inflation." Und nebenbei hätten Minister "vergessen", die Industrie mit wichtigen Rohstoffen wie Epoxidharz zu versorgen. Wegen der Sanktionen drohten Insolvenzen.

Angriffe auf Russland: "Alles sehr neu und unbekannt"

Nach offiziellen Zahlen freilich läuft die russische Kriegswirtschaft heiß. Die Rüstung schaffe Wachstum, es herrsche Vollbeschäftigung, die Einkommen der Beschäftigten in der Militärbranche stiegen deutlich und gegen die damit einhergehende Inflation, also die Geldschwemme, empfahl Putin persönlich, das Warenangebot zu erhöhen. Der auch in westlichen Medien veröffentlichende russische Politologe Wladislaw Inosemzew spricht seit längerem auf seinem Telegram-Channel ironisch von "Deathonomics" (death: englisch für Tod, -onomics: englisch für Ökonomie): "Niemand kämpft für Putin, alle kämpfen für Geld." Die ukrainischen Luftangriffe auf die russische Infrastruktur seien für die Wirtschaftsstärke insgesamt irrelevant, nicht aber für das gesellschaftliche Bewusstsein.

"Es scheint mir, dass Moskau noch nicht erkannt hat (oder nicht erkennen will), dass sich bewaffnete Zusammenstöße in der Region Kursk oder auf Moskau fallende Drohnentrümmer im öffentlichen Bewusstsein auf völlig andere Weise niederschlagen als Gefechte in der Region Donezk oder der Beschuss in der Region Cherson, obwohl formal alle diese Gebiete als russisch gelten", so Inosemzew. Manche evakuierte Russen datierten den "Kriegsbeginn" auf den 7. August dieses Jahres, also auf den Tag, als ukrainische Truppen auf russisches Gebiet bei Kursk vorstießen. Das sei ein "gefährlicher Trend" im Bewusstsein breiter russischer Bevölkerungsschichten, die anders als die meisten Ukrainer nicht an Raketeneinschläge im eigenen Land gewöhnt seien: "Das ist alles sehr neu und unbekannt."

Prognose: "Völliger wirtschaftlicher Zusammenbruch"

Dass die Kriegskonjunktur erhebliche psychologische, kulturelle und gesellschaftliche Auswirkungen hat, beweisen zahlreiche, für den Kreml wenig schmeichelhafte Meldungen. So befürchtete die russische Zentralbank laut der unabhängigen Online-Zeitung "Fontanka" (externer Link), dass im ungünstigen Fall schon nächstes Jahr sämtliche Haushaltsreserven aufgebraucht sein werden, also die "Apokalypse" drohe, wie es russische Zeitungen ausdrückten: "Wie Putin kürzlich sagte, ist der Krieg mittlerweile der Motor der Wirtschaft dieses Staates. Russland befindet sich also jetzt in einer völligen Sackgasse – es lebt von der Substanz und frisst die gesamte Wirtschaft auf. Wenn alles vorbei ist, wird es einen völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch geben", so ein düsterer Leserkommentar. Andere spotteten über "Märchenerzähler" im Kreml.

Außenminister Lawrow schlägt "Tauschhandel" vor

Gleichzeitig ist der Außenhandel dermaßen erschwert, dass Außenminister Sergej Lawrow eine Rückkehr zum "Tauschhandel" empfahl ("Warum denn nicht?") und manche russische Unternehmen bereits Kuriere mit Goldbarren nach Hongkong schicken, um ausländische Rechnungen bezahlen zu können, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt).

Durchaus ernst gemeint ist der Rat von Propagandistin Elena Panina (174.000 Fans), die auf ihrem Channel fordert: "Planwirtschaft und eine strenge staatliche Kontrolle würden helfen." Angesichts der zitierten "Deathonomics" mit dem Hochfahren der Rüstungswirtschaft und gegenseitiger Beschießung fragt sich einer der maßgeblichen russischen Polit-Blogger auf Telegram (166.000 Fans) dagegen: "Der Winter steht vor der Tür. Ist Russland darauf vorbereitet, ohne Licht und Wärme klarzukommen, wenn der Feind weiterhin unzureichend geschützte Anlagen unseres Energiesektors ausschaltet? Bisher drängt sich nicht der Eindruck auf, dass irgendjemand 'an der Spitze' darüber nachdenkt."

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