Einen "Masterplan Migration" gab es hierzulande schon mindestens einmal. 2018 legte ihn Horst Seehofer (CSU), damals Bundesinnenminister im Kabinett von Angela Merkel, auf – und sorgte dafür auch innerhalb der Union für kontroverse Debatten. Es war die Zeit, in der ein wahlkämpfender bayerischer Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angesichts hoher Flüchtlingszahlen anmahnte, es dürfe weniger Anreize für Geflüchtete nach Deutschland zu kommen geben. In diesem Zusammenhang sprach er von "Asyltourismus" und erntete dafür viel Kritik. Später distanzierte er sich von dem Begriff.
Nun hat das bayerische Kabinett unter Söder einen neuen "Masterplan Migration" vorgelegt. Worte wie "Asyltourismus" fallen bei der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung nicht, um soziale Anreize geht es durchaus. Das Ziel: Die Staatsregierung will die "irreguläre Migration" beschränken, hat ihre weitgehend bekannten Forderungen nun in ein halbes Dutzend Bundesratsinitiativen gegossen. Der Druck auf die Ampelregierung soll erhöht werden. "Wenn wir jetzt nicht die Weichen stellen, werden wir in diesem Jahr mit noch mehr Asylanträgen konfrontiert werden", sagte Söder. "Und die Kommunen sind bereits jetzt schon überlastet."
Warnung vor "Parallelgesellschaft"
Seehofers jahrelange Forderung nach einer "Obergrenze", die seit dem vergangenen Jahr von der CSU als "Integrationsgrenze" wieder aufgegriffen wird, liegt dabei für die Staatsregierung bei etwa 200.000 Geflüchteten. Mehr könne man nicht integrieren, so Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Söder betonte, die Bundesregierung müsse endlich benennen, wo diese Integrationsgrenze liege.
Im vergangenen Jahr stellten laut Herrmann bundesweit 330.000 Menschen einen Asylantrag – allein in Bayern 50.000. Die "Ressourcen" seien "ausgeschöpft", beklagte der Innenminister, so könne Integration nicht mehr "stattfinden", allein was die Themen Wohnen, Kitas, Schulen betreffe. Der Innenminister mahnte, bei der Integrationsobergrenze müssten auch jene Menschen berücksichtigt werden, die ganz legal nach Deutschland kämen, beispielsweise im Rahmen der Arbeitsmigration: "Das ist deshalb wichtig, weil auch für diese ja entsprechend Integrationsbedarf besteht." Söder und Herrmann warnten dabei beide vor dem Entstehen einer "Parallelgesellschaft".
Reform des Grundrechts auf Asyl, konsequente Rückführungen
Um die Kommunen und auch den Staatshaushalt zu entlasten, plädiert die Staatsregierung für eine Ausweitung der Grenzkontrollen. Und: eine Reform des Grundrechts auf Asyl. Das allerdings greift in der Praxis aktuell ohnehin nur bei einem Prozent der Asylanträge. Das EU-Recht, das auf der Genfer Flüchtlingskonvention fußt, ist in der Regel maßgeblich.
Allerdings, kritisiert die Staatsregierung, wird das EU-Recht in der Flüchtlingspolitik nicht ausreichend angewendet. Stichwort "konsequente Rückführungen", so eine andere Forderung im neuen bayerischen "Masterplan Migration": Denn qua EU-Recht, müssten zahlreiche Geflüchtete konsequent in die europäischen Staaten abgeschoben werden, über die sie nach Deutschland gekommen sind. Zwei Drittel, der nach Deutschland kommenden Geflüchteten, seien in anderen EU-Ländern aber einfach nicht registriert worden, so Innenminister Herrmann.
Mehr sichere Herkunftsstaaten, mehr Abschiebungen
Mehr Möglichkeiten, Geflüchtete abzuschieben, will die Staatsregierung auch erreichen, indem sie den Bund dazu auffordert, die Liste der "sicheren Herkunftsländer" zu erweitern: durch die Länder Algerien, Armenien, Indien, Marokko und Tunesien. Als Blockierer des Vorhabens in der Ampel bzw. im Bundesrat nennt Herrmann namentlich die Grünen.
Die Sprecherin für Integration der Grünen im Landtag, Gülseren Demirel, entgegnet im BR24live-Interview: Das sei eine "Scheindebatte", die Geflüchteten aus diesen Ländern würden nur einen minimalen Bruchteil ausmachen. Gleichzeitig zeigte sie sich offen, zu "prüfen", ob man das ein oder andere der genannten Länder zu einem sicheren Herkunftsland machen könne.
Um die Abschiebungen besser zu organisieren und die Länder dabei zu entlasten, fordert das Kabinett vom Bund betriebene und finanzierte Ausreisezentren an Flughäfen. Asylgerichtsverfahren müssten zudem beschleunigt werden. Und Straftäter sollten aus Sicht der Staatsregierung schneller ihren Schutzstatus verlieren.
Abbau von Sozialleistungen gefordert
Auch die Anreize für Geflüchtete nach Deutschland zu kommen, will Bayern reduzieren. So sollen ausreisepflichtige Geflüchtete nach den Plänen der Staatsregierung die Leistungen deutlich gekürzt werden. Bayern selbst ist zudem gerade dabei, ein Bezahlkartensystem für Asylbewerber zu entwickeln, das bereits beschlossen ist, und laut Söder, voraussichtlich Ende März/Anfang April starten wird.
Vom Bund fordert die Staatsregierung erneut, dass bei Geflüchteten aus der Ukraine künftig wieder das Asylbewerberleistungsgesetz gilt. Aktuell erhalten Ukrainerinnen und Ukrainer, die keiner Arbeit nachgehen, Bürgergeld. Das sei kein Anreiz, sich eine Arbeit zu suchen, kritisierten Söder und Herrmann. Die Entscheidung aus dem Jahr 2022 sei falsch gewesen, das zeige auch das Beispiel anderer Länder, in denen die Quote von ukrainischen Geflüchteten, die einer Arbeit nachgingen, deutlich höher sei als in Deutschland.
Forderung nach Asylwende aus Sorge um die Demokratie
Neben der Entlastung der Kommunen ist laut Ministerpräsident Söder die Sorge um die Demokratie eine Triebfeder für die Bundesratsinitiativen. Und sein Innenminister ergänzte: "Wir erleben gerade auch eine Gefährdung der politischen Stabilität in Deutschland." Sätze, die als Reaktion auf das Erstarken der AfD in den jüngsten Umfragen gemünzt sein dürften.
Christoph Mayer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion und "re-migrationspolitischer Sprecher", wie er selbst betont, zeigte sich in einer ersten Reaktion sehr zufrieden mit den Forderungen der CSU/FW-Staatsregierung. Er warf der Staatsregierung gleichzeitig vor, von der AfD abgeschrieben zu haben.
Die Landessprecherin der Grünen Jugend Bayern, Katharina Sparrer, warf der Staatsregierung darauf bezogen ein "Fischen im rechten Spektrum" vor. "Mit der Kopie rechter Forderungen bekämpft man die hohen Umfragewerte der AfD nicht – im Gegenteil: Man stärkt die AfD!"
SPD: "Nicht realisierbar"
Der bayerische SPD-Fraktionschef Florian von Brunn kritisierte die Forderungen der Staatsregierung. "Die Ideen von Söder verstoßen zu einem nicht unerheblichen Teil gegen Rechtsprechung und Völkerrecht", teilte er auf BR24-Anfrage mit. "Sie sind nicht realisierbar – im Gegensatz zu den konkreten und wirksamen Plänen der Bundesregierung."
Die Vorhaben der Ampel verbinden laut von Brunn Menschlichkeit mit Vernunft und Steuerung, zum Beispiel durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Er rief Söder auf, sich lieber um seine eigenen Versäumnisse zu kümmern. "Die Bezahlkarte hat er nämlich schon 2018 versprochen und nach fast sechs Jahren ist sie immer noch nicht umgesetzt."
Gleichzeitig hatten zuletzt auch Teile der SPD-Bundestagsfraktion den Druck auf den SPD-Kanzler erhöht, in der Migrationspolitik eine Wende herbeizuführen und dabei notfalls auch auf Konfrontation zu den Grünen zu gehen, die als liberalster Teil der Ampel in der Flüchtlingspolitik gelten.
Gemischte Reaktionen von Verbänden
Uwe Brandl, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, und CSU-Politiker, begrüßte die Bundesratsinitiativen der Staatsregierung. "Jede Initiative, die dazu führt, dass die Zugangszahlen deutlich geringer werden und vor allen Dingen auch die Rückführungszahlen derjenigen, die keine dauerhafte Bleibeperspektive haben", sei richtig, so der ehemalige Bürgermeister von Abensberg.
Die Vizepräsidentin des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), Brigitte Meyer, beklagte dagegen in einer Mitteilung einen zunehmenden menschenverachtenden Ton in der Diskussion über die Migrationspolitik in Deutschland. Es werde zu viel über Zahlen und zu wenig über Menschen gesprochen, kritisierte sie. "Zuwanderung ist keine Pandemie, bei der es ausschließlich darum geht, die Zahlen zu reduzieren."
Sie appellierte an die Politik, die Menschlichkeit in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen und zur Sachlichkeit zurückzukehren. Nötig seien umfassende Maßnahmen, damit die Integration in die Gesellschaft besser funktioniere: die Förderung von gesellschaftlicher, sozialer, kultureller, politischer und wirtschaftlicher Teilhabe.
Im Video: das BR24live zur Kabinettssitzung
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