Vielen Menschen aus Brennberg im Landkreis Regensburg fällt es schwer, das zu sehen: Eine 40 Meter breite Schneise voller Baumstümpfe und aufgestapelter Baumstämme entlang der Straße nach Wiesent. Hier fällt der Stromnetzbetreiber Tennet gerade Waldflächen für die Stromtrasse Südostlink, die Windstrom aus Norddeutschland in den Süden bringen soll.
Bürger trauern um gerodeten Wald
Rund 100 Menschen haben die verlorenen Bäume jetzt betrauert, sind am gestrigen Sonntag in einem Trauermarsch die Schneise entlang gegangen. "Es ist traurig, mir blutet das Herz", meinte eine Teilnehmerin. Ihr ganzes Leben lang fahre sie schon durch den Wald, erklärte eine Frau aus dem Brennberger Gemeindeteil Frauenzell, jetzt bekomme sie dabei jedes Mal eine Gänsehaut, "es ist furchtbar".
Bund Naturschutz fordert dezentrale Energiewende
Zu dem Trauermarsch aufgerufen hatte unter anderem der Bund Naturschutz. Raimund Schoberer von der Kreisgruppe Regensburg des Umweltverbands ärgert sich, dass nicht stärker auf die dezentrale Energiewende gesetzt wird, mit Stromerzeugung und besseren Verteilnetzen vor Ort: "Vor zwölf Jahren haben wir schon gesagt, man muss zentral und dezentral gegenüberstellen und wirklich mal durchkalkulieren, was funktioniert, was nicht funktioniert."
Stattdessen habe man sich sofort für das zentrale Modell mit Stromtrassen entschieden. "Und das ist das, was wir einfach nicht verstehen. Eine dezentrale Energiewende hat viel größere Akzeptanz", ist sich Schoberer sicher.
Einige Forscher sehen das auch so. Etwa Christian von Hirschhausen von der Technischen Universität Berlin. Bei einem lokalen Ansatz könnten auch die Bürger beteiligt werden, sagte er dem BR24 #Faktenfuchs: Solaranlagen auf den Dächern, lokale Windparks in Bürgerhand. Allerdings bräuchte dann jede Region in Deutschland entsprechend ihres Strombedarfs genügend Windräder, Photovoltaikanlagen und Speicher. Die Verteilnetze müssten ausgebaut werden, aktuell sind sie oft am Limit.
Für Vor-Ort-Erzeugung mehr Speicher und Verteilnetze nötig
Laut Dirk Witthaut von der Universität zu Köln müssten dann mehr Windräder auch in Regionen gebaut werden, die für die Erzeugung von Windenergie weniger geeignet sind. Das hält der Wissenschaftler, der an der Optimierung zukunftsfähiger Stromnetze forscht, im BR-Interview für wenig sinnvoll.
Für viele Wissenschaftler schließen sich ein zentrales und dezentrales System nicht aus. Es brauche beides, damit die Energiewende gelingt. Der Großteil der vom Faktenfuchs befragten Wissenschaftler steht der Forderung nach einer rein dezentralen Energiewende allerdings skeptisch gegenüber. Ein System, bei dem der Strom dort produziert wird, wo er verbraucht wird, wäre nach Ansicht der Experten teurer als das seit 2011 von mehreren Bundesregierungen geplante zentrale System.
Trassenplanung noch nicht abgeschlossen
In Brennberg hat der Stromnetzbetreiber Tennet aus Sicht der Trassengegner jetzt "Fakten geschaffen" mit den Baumfällarbeiten. Die Brennberger Bürgermeisterin Irmgard Sauerer von den Freien Wählern ärgert es, dass Tennet schon abholzen darf, obwohl die Planungen für die Stromtrasse noch gar nicht abgeschlossen sind.
"Es ist gesetzlich geregelt. Die Bundesnetzagentur hat dem allen zugestimmt. Aber für uns hier vor Ort ist es ein sehr, sehr massiver Einschnitt." Irmgard Sauerer, Bürgermeisterin Brennberg
Auch die Regensburger Landrätin Tanja Schweiger (Freie Wähler) meint: "Elf Hektar Wald allein im Landkreis Regensburg ist natürlich jetzt schon eine Dimension. Wenn man mal überlegt: Jeder, der in seinem Garten ein Bäumchen wegschneiden muss, braucht unglaubliche Genehmigungen." Auch sie plädiert für einen dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energien. "Dafür braucht man Verteilnetzausbau. Der ist zehn Jahre lang nicht vorangegangen, bis heute viel zu schleppend." Im Landkreis gebe es Hausbesitzer, deren Dach-Solaranlage noch immer nicht ans Netz angeschlossen sei.
Bundesnetzagentur genehmigte vorzeitige Fällarbeiten
Die Bundesnetzagentur hatte die Baumfällarbeiten für den Südostlink als sogenannte vorgezogene Maßnahme genehmigt, damit keine Verzögerungen entstehen. Denn in Kürze brüten die Vögel, dann darf nicht mehr abgeholzt werden.
Auch bei Landshut wird bereits für den Südostlink gebaut, die nördliche Oberpfalz soll bald folgen. Die Hochspannungs-Gleichstromleitung Südostlink führt von Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt bis zum Umspannwerk des Kernkraftwerks Isar nahe Landshut. Hier sind zwei Konverter geplant, die Gleichstrom in Wechselstrom umwandeln und ins lokale Netz einspeisen. In Bayern wird die Trasse vollständig als Erdkabel gebaut, was sie allerdings teurer macht als eine oberirdische Leitung.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!