Ungeachtet der Zweifel von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an der Erreichbarkeit des selbst gesteckten Klimaziels hält der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) am bisherigen Fahrplan fest. Während laut Söder Bayern ohne Rückkehr zur Atomkraft erst 2045 statt 2040 klimaneutral werden kann, stellt das Umweltministerium auf BR-Anfrage klar: Glauber stehe für den schnellen und konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien. "Das Umweltministerium arbeitet an der Umsetzung des Bayerischen Klimaschutzgesetzes."
Im Klimaschutzgesetz, das seit 2023 gilt, heißt es: "Spätestens bis zum Jahr 2040 soll Bayern klimaneutral sein." Damit schrieb die schwarz-orange Koalition eine Forderung ins Gesetz, die Söder schon Jahre zuvor erhoben hatte. Der Atomausstieg war da bereits beschlossen. Vor einem Jahr bekräftigten CSU und Freie Wähler im Koalitionsvertrag: "An unserem Ziel Klimaneutralität bis 2040 halten wir fest."
Nach der Kabinettsklausur betonte Söder am Dienstag, ohne Kernenergie gebe es "keine Chance", das bayerische Klimaziel zu erreichen: "mit Kernenergie 2040, ohne Kernenergie 2045 – hoffentlich". Das zeigten alle Daten und Tabellen. Er bekräftigte seine Forderung nach einem Stopp des Rückbaus des bayerischen Atomkraftwerks Isar 2, der sich noch umkehren lasse.
Aiwanger: "Wirtschaftliche Vernunft statt Ideologie"
Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) war schon in den vergangenen Monaten mehrfach auf Distanz zum Ziel 2040 gegangen. Auf BR-Anfrage betont er jetzt: "Es braucht wirtschaftliche Vernunft statt Ideologie und planwirtschaftliche Ausstiegsdaten, die unrealistisch sind." Weder Heizungs-Aus noch Verbrenner-Aus dürfe man an Jahreszahlen knüpfen. "Sonst sind wir grün, aber wirtschaftlich tot."
Der Freie-Wähler-Chef hält auch den "Zeitkorridor zwischen 2045 und 2050" für die Klimaneutralität schon für schwierig genug. Er sei dann "theoretisch machbar", wenn man stark auf grünen Wasserstoff setze. Allerdings gelte auch hier: Wohlstand und Wirtschaft dürften nicht darunter leiden.
Holetschek: "Neue zeitliche Perspektiven"
Der CSU-Fraktionsvorsitzende Klaus Holetschek, der noch im Sommer Aiwanger für seine Klima-Aussagen kritisiert hatte, spricht nun von "notwendigen Anpassungen mit neuen zeitlichen Perspektiven". Diese seien "sachgerecht" und in der bayerischen Regierungskoalition unstrittig. Die bayerische Wirtschaft leiste jetzt schon Enormes, um die Klimaziele zu erreichen. Die Wirtschaftslage habe sich aber zuletzt deutlich verschärft.
Natürlich wolle Bayern so schnell wie möglich klimaneutral werden. Doch entscheidende Weichenstellungen – wie der Verzicht auf die Atomkraft und Entscheidungen der EU und der Ampel – hätten dem Freistaat wichtige Handlungsspielräume genommen. "In dieser schwierigen Lage müssen wir realistisch bleiben und zeitliche Rahmenbedingungen neu bewerten." Klimaschutz dürfe nicht auf Kosten von Wirtschaft und Arbeitsplätzen gehen.
Deutliche Kritik von Umweltverbänden
Umweltverbände sehen das ganz anders. Der Leiter des Greenpeace-Landesbüros Bayern, Stefan Krug, kritisiert, Söder wechsle seine Position wie andere ihr Hemd. "Das bayerische Klimaschutzziel ist allerdings keine Meinungssache, sondern ein gesetzlich festgelegtes Ziel." Mit Wunschträumen über die Auferstehung der Atomkraft werde Söder "das Versagen seiner Regierung beim Ausbau von Windkraft und Stromnetzen nicht vertuschen können".
Der Vorsitzende des Bunds Naturschutz in Bayern, Richard Mergner, argumentiert, die erneute Inbetriebnahme der alten Atomkraftwerke "wäre energiepolitischer Unsinn und ist absolut nicht realistisch". Die Einhaltung der Klimaziele vom Wiedereinstieg in die Atomkraft abhängig zu machen, sei ein "offensichtliches Manöver, um die schleppende Energiewende in Bayern zu kaschieren". Die Klimawende könne gelingen, "wenn man nur die richtigen Anreize setzt und die Energiewende auch wirklich ernsthaft verfolgt".
Grüne verlangen von Staatsregierung Aufklärung
Die Grünen-Fraktion verlangt von der Staatsregierung in einer schriftlichen Anfrage Auskunft darüber, auf welche Daten und Tabellen sich Söder bei seinen Aussagen berufen habe. Fraktionschefin Katharina Schulze zeigte sich empört über die "Kehrtwende" des Ministerpräsidenten: "Dass Markus Söder sich das traut – nach einem Jahr, in dem allein in Bayern Milliardenschäden durch den Klimawandel entstanden sind, in dem es mehrmals massives Hochwasser gab, in dem Menschen ertrunken sind, durch das so viele ihr ganzes Hab und Gut verloren haben – das macht mich fassungslos."
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