Von dickem Lob zu beißendem Spott: Nach der Kabinettsklausur dankte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder den Freien Wählern (FW) für die "sehr, sehr gute" Zusammenarbeit in der Koalition, nach der CSU-Vorstandssitzung wenige Tage darauf sprach er ihnen jede bundespolitische Bedeutung ab. Auf einem "absteigenden Ast" seien die FW, jede Stimme bei der Bundestagswahl an sie sei "verschenkt" und könne dem "bürgerlichen Lager" fehlen.
In den drei Monaten bis zur Bundestagswahl ist mit einem rauen Ton zwischen CSU und Freien Wählern zu rechnen: Im Wettstreit um die bürgerliche Wählerschaft im ländlichen Raum sind sie scharfe Konkurrenten. Bei der Landtagswahl 2023 war es den FW erstmals gelungen, punktuell die Vorherrschaft der CSU zu durchbrechen, insbesondere in Teilen Niederbayerns. Bei der Bundestagswahl darf sich das nach dem Willen der CSU nicht wiederholen.
Aiwangers Strategie
Nach 16 Jahren im Landtag will Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger es endlich in den Bundestag schaffen. Da die bundesweite 5-Prozent-Hürde zu hoch sein dürfte, setzt er darauf, in drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen zu holen – auch damit wären die FW dank der sogenannten Grundmandatsklausel in Berlin vertreten. Vor einer Woche stellte Aiwanger mehrere aus seiner Sicht aussichtsreiche Kandidaten vor. Auch er selbst will ein Direktmandat holen. "Dieses Mal machen wir voll Ernst", betont der FW-Chef.
Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, sagt dazu, Aiwanger versuche, die kommunale Verwurzelung der Freien Wähler als Sprungbrett zu nutzen: Fünf Prozent seien sehr unwahrscheinlich, aber drei Direktmandate zu holen – "das könnte klappen".
Söder über Freie Wähler: "Keine Relevanz"
Söders erklärtes Ziel für die Wahl ist, dass die CSU in Bayern sämtliche Wahlkreise gewinnt. Die FW-Erfolgsaussichten spielt der CSU-Chef herunter: Für Aiwanger habe es bei der Suche nach Direktkandidaten "Absagen gehagelt", der FW-Plan habe "keine große Relevanz".
Die Münchner Politik-Professorin Jasmin Riedl beobachtet bei Söder mehrere Strategien: Zum einen sei da sein Argument, die einzige rein bayerische Kraft für Berlin sei die CSU, insofern sei jede Stimme für die FW eine verlorene Stimme für den Freistaat. Darauf habe die CSU schon im Europawahlkampf gesetzt. Bei der Wahl schnitten die FW deutlich schlechter ab (6,8 %) als bei der Landtagswahl (15,8 %).
"Die zweite Strategie ist die Marginalisierung der Freien Wähler: Dass sie ohnehin chancenlos seien", schildert Riedl. Dahinter stecke die Botschaft: Nur eine Stimme für die CSU zähle sicher für die Zusammensetzung des Bundestags. Durch ständige Wiederholung könne dies verfangen, sagt die Politologin. "Man nennt es 'Bandwagon-Effekt': Dass man der Band und der Musik hinterherläuft, die laut spielt."
Politologin: "Angriff" auf Aiwanger mit dem Bauernpräsidenten
Einen weiteren Schachzug gegen Aiwanger sieht Riedl in Söders jüngster Personalentscheidung: Der Präsident des Bayerischen Bauernverbands, Günther Felßner, kandidiert auf der CSU-Liste – und soll in einer neuen Regierung Bundeslandwirtschaftsminister werden. Söder will die Nominierung als "starkes Signal für den ländlichen Raum" verstanden wissen: Bei den Bauernprotesten im vergangenen Winter sei Felßner nicht nur das Gesicht der Landwirtschaft gewesen, sondern "auch einer breiten Gesellschaft" – vom Handwerk über die Gastronomie bis hin zu Spediteuren.
Für Riedl ist die Personalie ein "klarer Angriff" auf Aiwanger und die Freien Wähler. "Hier geht es auch darum, welche Partei, welche Person, welcher politische Akteur die Interessen der Landwirtschaft, der ländlichen Bevölkerung besser vertritt." Die CSU wolle verhindern, dass ihr dort "Felle wegschwimmen". Bei den Bauernprotesten Anfang des Jahres war Aiwanger Dauergast und wurde bejubelt.
FW-Generalsekretärin: "Nervosität bei Söder"
Die bayerische FW-Generalsekretärin Susann Enders attestiert Söder "völlige Nervosität" – und schießt scharf zurück. Jetzt entdecke die CSU den ländlichen Raum, Felßner solle es richten. Da dieser aber in keinem Wahlkreis, sondern nur über die CSU-Liste kandidiere, habe er praktisch keine Chance auf einen Einzug in den Bundestag. "Das ist eine Trickserei", sagt Enders. Die FW hätten mit Aiwanger einen "richtigen Landwirt" an der Spitze – und könnten im Gegensatz zur CSU überall in Deutschland gewählt werden.
Aiwanger macht bei seiner Drei-Mandate-Strategie aus der Not eine Tugend und wirbt mit der Rathaus-Erfahrung der FW-Kandidaten: "Ich würde mir wünschen, dass der Deutsche Bundestag zum größten Rathaus der Nation erklärt wird, dass dort überwiegend Kommunalpolitiker drinsitzen."
Aiwangers Trumpf: Nein zu Schwarz-Grün
Punkten will Aiwanger zudem mit Warnungen vor Schwarz-Grün. "Lieber Herr Merz, lieber Fritz, rede mit den Freien Wählern und kuschle nicht mit den Grünen!", rief Aiwanger beim FW-Parteitag vor einer Woche. Auch mit Blick auf die CSU betont er immer wieder: Nur mit Freien Wählern sei ein bürgerliches Bündnis im Bund möglich, nur mit den FW wäre Deutschland vor Schwarz-Grün sicher.
Gerade im ländlichen Raum schlägt den Grünen viel Ablehnung entgegen. Das ist auch eine Erklärung dafür, dass sich Söder regelmäßig viel deutlicher als Merz gegen Schwarz-Grün positioniert. Laut Riedl will der CSU-Chef verhindern, dass Aiwanger als der "passendste Gegenspieler der Grünen" gesehen werde – und die CSU Stimmen an die FW verlieren könnte.
Im Video: CSU nominiert Bauernpräsidenten Felßner
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