Generaldebatte: Olaf Scholz (links), Friedrich Merz
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Generaldebatte: Olaf Scholz (links), Friedrich Merz

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Generaldebatte – Tiefe Gräben und leises Werben

Generaldebatte – Tiefe Gräben und leises Werben

Keine Anträge, keine Abstimmung. In der letzten Sitzung vor der Bundestagswahl hatte der Bundestag nur einen Punkt auf der Tagesordnung – eine Debatte über die Situation in Deutschland. Neben gegenseitigen Vorwürfen gab es auch nachdenkliche Momente.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Ein weißer Trauerkranz liegt auf einem der Sitze. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) erinnert an den Abgeordneten Erwin Rüddel (CDU). "Er wollte heute noch reden. Eine halbe Stunde, nachdem er das beantragt hatte, ist er gestorben", sagt Bas. Das war vor einer Woche. Die Sitzung im Bundestag – die letzte in der 20. Legislaturperiode – beginnt nachdenklich. Doch nach einigen Minuten des Schweigens geht ein vierstündiger harter Schlagabtausch los.

Scholz: Harte Angriffe gegen Merz

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) beginnen – und sie schenken sich nichts. Scholz versucht, seinen Herausforderer als orientierungslos und unerfahren darzustellen. Er attestiert sich mit ungebrochenem Selbstbewusstsein Führungsstärke: "In schwierigen Zeiten muss ein Kanzler die Nerven behalten."

Scholz zählt auf, was die Wähler mit ihm als Regierungschef erwarten dürfen: Renten sichern, Mietpreisbremse, Mindestlohn erhöhen. Er wirft der Union mit einer großen Prise Klassenkampf-Rhetorik vor, den Reichen Steuergeschenke machen zu wollen: "34.000 Euro Steuerentlastungen jedes Jahr – das verdient eine Friseuse im ganzen Jahr nicht."

Merz: Spott und leises Werben

Eine halbe Stunde redet der Kanzler. Und Merz? Kommentiert ihn spöttisch mit vier Worten: "Was war das denn?" Der Bundeskanzler erinnere ihn an einen "Geschäftsführer, der ein Unternehmen vor die Wand gefahren hat" und jetzt um Verlängerung seines Vertrages bitte.

Merz skizziert die Probleme in Deutschland in der Wirtschaft, der Migration. Aber bei aller Polemik – "Sie haben drei Jahre versucht, linke Politik gegen den Willen der Bevölkerung zu machen" – will Merz erkennbar auch Brücken bauen. Ab dem 24. Februar, dem Tag nach der Wahl, müsse man an einer stabilen Mehrheit arbeiten, die Herausforderungen bewältigen, "wenn das nicht gelingt, werden die Rechtspopulisten in die Nähe der Mehrheit kommen".

AfD – Parteien arbeiten sich weiter an vermeintlicher Zusammenarbeit ab

Eigentlich habe er alles gesagt zur AfD, meint Merz, aber er wolle es noch mal wiederholen: "Eine Zusammenarbeit mit der AfD kommt nicht in Frage." Vorher hatte der Kanzler seinen Herausforderer Merz erneut angegriffen. Dessen gemeinsames Abstimmen mit der AfD im Bundestag sei eine "unverantwortliche Zockerei" gewesen, und man müsse jetzt "Schwarz-Blau unmöglich machen". Die SPD sät damit erneut Misstrauen an Merz. Der wiederum tut dies kühl als Wahlkampf-Taktik ab: "Herr Scholz, Sie wissen ganz genau, wie meine Haltung zur AfD ist."

Unerwartete Schützenhilfe erhält Merz von Kevin Kühnert. Der frühere SPD-Generalsekretär, der aus gesundheitlichen Gründen den Bundestag verlässt, redet als Letzter. "Die Union sind keine Faschisten", und ihre Büros zu stürmen, sei falsch, ruft er. Kühnert redet Merz aber auch ins Gewissen, die Kritik – auch aus der Union selbst – nicht zu ignorieren.

Migration – Annäherung möglich?

Beim Thema Migration liegen SPD und Union weniger weit auseinander, als man nach den Auseinandersetzungen im Bundestag vor zwei Wochen glauben könnte. Begrenzung der Zuwanderung, Einschränkung des Familiennachzugs, mehr Befugnisse für die Bundespolizei – das alles sei auch Programm der Sozialdemokraten, hält Merz dem Kanzler vor. "Warum ist das heute verfassungswidrig?" Merz unterschlägt dabei aber, dass die SPD explizit die Zurückweisungen an der Grenze nicht mitmachen will.

Alice Weidel, Spitzenkandidatin der AfD, ist sich ohnehin sicher, dass die Union ihre Vorhaben nicht umsetzen kann. Sie wirft Merz vor, "die Wähler zu täuschen". Auffällig: Die Grünen lassen das Thema Migration fast völlig außen vor – vielleicht auch, weil sie damit in den eigenen Reihen kaum gewinnen können.

Im Video: BR-Korrespondentin Huber zur Generaldebatte

BR-Korrespondentin Eva Huber zum Schlagabtausch
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BR-Korrespondentin Eva Huber zum Schlagabtausch

Wirtschaft – Deutschland soll umsteuern

Die FDP, die um den Wiedereinzug in den Bundestag kämpft, wirbt für eine Wende in der Wirtschaftspolitik. Standort-Nachteile könne man "nicht weg-subventionieren", warnt Christian Lindner (FDP) in Richtung Rot-Grün. Die Liberalen, denen als einzige Regierungsoption die Beteiligung an einer unionsgeführten Koalition bleibt, sehen Deutschland auf dem Weg in ein "Industriemuseum".

Sahra Wagenknecht (BSW) nennt Scholz einen "Kanzler des Abstiegs". Auch Merz zeichnet ein düsteres Bild: Drei Millionen Arbeitslose und 50.000 Unternehmensinsolvenzen seien ein "Desaster". Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef der CSU, befindet angesichts der Lage im Land: "Die Menschen wollen nicht, dass es so weiter geht."

Klimaschutz – war da was?

Die Grünen schieben im Endspurt des Wahlkampfs "ihr" Thema, den Klimaschutz, nach vorne. Tatsächlich ist das Thema bislang nahezu komplett untergegangen. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne), den die politischen Mitbewerber für die Probleme der Wirtschaft verantwortlich machen, geht in den Angriffsmodus. Subventionen für Landwirte und die Gastronomie, Atomkraft und Verbrenner, wie es die Union fordert, seien "80er-Jahre".

Habeck warnt: Die Klimapolitik wieder zurückzudrehen, sei brandgefährlich, ein "Hin und Her" schade der Wirtschaft. Deutschland müsse als größtes Land in Europa Vorbild sein. Denn "wenn Europa umfällt, ist es vorbei mit dem internationalen Klimaschutz".

Nächster Bundestag: Aufrufe, die Demokratie zu vereidigen

Nach fast vier Stunden ist die Debatte vorbei. Viele Abgeordnete umarmen sich – nicht nur die, die Parteifreunde sind. Yvonne Magwas, CDU-Abgeordnete aus Sachsen, kommen fast die Tränen, als viele sie herzlich verabschieden. Sie verlässt den Bundestag, weil Anfeindungen von rechts gegen sie und ihre Familie stark zugenommen hätten.

In einem letzten Appell gibt Bärbel Bas dem "Haus", wie der Bundestag intern genannt wird, eine Mahnung mit. "Die Verrohung macht mir Sorgen", sagt Bas. Es gelte, Respekt und Achtung vor den Meinungen der anderen zu bewahren. "Es wird an Ihnen liegen, wieder Brücken zu bauen." Um 12.51 Uhr ist der 20. Deutsche Bundestag Geschichte: "Die Sitzung ist geschlossen!"

Im Video: Schlagabtausch im Bundestag

Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) blickt bei seiner Rede im Bundestag zu Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Minister Robert Habeck (Grüne)
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Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) blickt bei seiner Rede im Bundestag zu Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Minister Robert Habeck (Grüne)

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