Das Bild zeigt eine symbolhafte Fotomontage: Zwei Hände zerreißen dabei das Grundgesetz.
Bildrechte: colourbox.com/931, picture alliance / Fotostand | Fotostand / K. Schmitt, picture alliance / ZB | Jens Kalaene, picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow; Montage: BR/Maxi Schumann
Videobeitrag

Kann unsere Demokratie von radikal-populistischen oder gar extremistischen Parteien mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden? Possoch klärt!

Videobeitrag
>

Populismus und Extremismus: "Karlsruhe hat keine Kavallerie"

Populismus und Extremismus: "Karlsruhe hat keine Kavallerie"

Populistische oder gar extremistische Parteien mit großem Einfluss in Parlamenten oder Regierungen: Reichen die Schutzmechanismen der Demokratie aus? Und wie weit kann man dabei eigentlich gehen? Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Muss die Demokratie in Deutschland noch besser gegen Parteien wie die AfD gesichert werden als es ohnehin der Fall ist? Union und Ampel wollen zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht durch eine Grundgesetzänderung für mögliche Krisenzeiten "sturmfest" machen. So sollen die Regelungen für das höchste deutsche Gericht in der Verfassung festgeschrieben werden, damit sie nicht ohne weiteres mit einfacher Mehrheit geändert werden können.

Die Demokratie soll also noch wehrhafter werden – Kai von Lewinski, Rechtsprofessor an der Uni Passau, spricht im BR24-Interview für "Possoch klärt" jedoch auch von "nicht vermeidbaren Nachteilen":

"Man kann sich verschiedene Härtungen der Verfassungsordnung vorstellen, die haben aber alle den nicht vermeidbaren Nachteil, wenn tatsächlich dann jemand, den man eigentlich vermeiden wollte, doch an die Macht gekommen ist, dann sitzt er in einer gehärteten Verfassungsordnung und da ist er dann wieder schlecht rauszukriegen." Kai von Lewinksi, Universität Passau

Die Grenzen der Demokratie

Schon jetzt beinhaltet das Grundgesetz Instrumente, die die Demokratie schützen sollen: So kann beispielsweise eine Partei, die nachweislich die freiheitlich-demokratische Ordnung abschaffen möchte, verboten werden. Die Option eines solchen Verbotsverfahrens gegen die AfD wird seit Monaten diskutiert.

Dieser Schutzmechanismus aber kommt laut Kai von Lewinski an seine Grenzen:

"Eine Demokratie kann nicht dauerhaft funktionieren, wenn wir 20-30 Prozent der Leute, Akteure, der Meinungen, außerhalb der Verfassungsordnung stellen. Dann wird die Verfassung selber autoritär. Also: Die wehrhafte Verfassung kann nicht bis zu einem Extrempunkt durchgezogen werden, weil sie dann die Demokratie in einem Maße beschränkt, dass die Demokratie selber nicht mehr demokratisch ist." Kai von Lewinski, Universität Passau

Im Video: "Kann eine Partei wie die AfD unsere Demokratie kaputtmachen?"

Gewaltenteilung als Schutzschild

Mit Blick auf den Schutz der Demokratie ist für Rechtswissenschaftler Lennart Laude vom "Verfassungsblog" (externer Link) klar: "Solange eine funktionierende Gewaltenteilung da ist, wäre es sicher mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, sehr extreme Wahlversprechen zu verwirklichen." Wenn also populistische oder gar extreme Parteien an der Bundesregierung beteiligt wären, können sie vorerst Gesetze nicht jenseits des Grundgesetzes ändern, stimmt von Lewinski zu.

Das Bundesverfassungsgericht überwacht gegebenenfalls die Einhaltung des Grundgesetzes bei der Gesetzgebung. Was aber ist, wenn sich die Regierung nicht an Entscheidungen aus Karlsruhe hält? "Das Bundesverfassungsgericht hat leider keine Kavallerie, die dann losreitet und das durchsetzt", sagt Kai von Lewinski. Wenn jemand die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ignoriere, sei das "das offene Ende des Systems Bundesverfassungsgericht."

Populistische Regierungen: Wie werden Verfassungen ausgehebelt?

Polen und Ungarn waren bzw. sind Beispiele, wie populistische Regierungen mithilfe vermeintlich demokratischer Mittel Einfluss und Kontrolle im Justizapparat ausbauen. Laut Lennart Laude gehört es dabei zur Strategie, sich "zu inszenieren als die Verteidiger der Demokratie, des Rechtsstaats."

Gleichzeitig würden, so Laude, aber die Instrumente der Demokratie im eigenen Sinne der populistischen Machthaber instrumentalisiert: In kleinen und scheinbar mäßigen Schritten könnte sich so "ein Weg ergeben, der hin zu einem autoritären Staat führt und der dahinführt, dass diese Partei nicht mehr wirklich abgewählt werden kann."

Das ungarische Justizsystem zum Beispiel wurde einst nach deutschem Vorbild aufgebaut. Mehrere Justizreformen hebelten jedoch die Gewaltenteilung zunehmend aus. So darf inzwischen nur noch die Regierungsfraktion die Verfassungsrichter vorschlagen und nicht mehr, wie früher, ein paritätischer Ausschuss. Zudem wurden linientreue zusätzliche Richter berufen. So konnte die populistische Regierungspartei Fidesz von Viktor Orbán dafür sorgen, dass die Gewaltenteilung theoretisch zwar noch besteht, aber de facto nicht mehr unabhängig funktioniert.

"Die Verfassung kann sich nicht selbst schützen"

Ist die Demokratie in Deutschland ausreichend resilient oder kann eine einflussreiche populistische oder gar extremistische Partei die Demokratie mit ihren eigenen Waffen aushebeln und zerschlagen?

"Unser Grundgesetz hat uns aus einer sehr schwierigen historischen Phase hinausgeführt. Wir vertrauen darauf, dass diese Mechanismen weiter funktionieren werden und die werden von einem Großteil der Bevölkerung auch weiter unterstützt. Zugleich muss man sich vor Augen führen, dass eine Verfassung sich nicht selbst schützen kann. Letztlich kommt es darauf an, dass die Werte der Verfassung auch von den einzelnen Menschen in Deutschland gelebt werden, und [...] und bereit sind, sie zu verteidigen." Lennart Laude, "Verfassungsblog"

Rechtsprofessor von Lewinski: "Es hilft wahrscheinlich nichts anderes, als auf die Vernunft der Menschen zu vertrauen, das ist die Grundannahme der Demokratie und wir wollen eigentlich nicht denken, dass wir zu dumm dafür sind."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!