Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
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Wahlrechtsreform der Ampel: Verfassungsrichter sagen "ja, aber"

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Wahlrechtsreform der Ampel: Verfassungsrichter sagen "ja, aber"

Um das neue Wahlgesetz der Ampel wird hart gerungen. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Teile der Reform sind rechtens, andere nicht. Damit herrscht Rechtsklarheit, aber der politische Streit geht weiter.

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Als die Richterinnen und Richter am Vormittag in Karlsruhe ihr Urteil zum Wahlrecht bekannt geben, ist die Spannung schon etwas abgeflaut. Der Grund: Bereits in der Nacht war die Entscheidung kurzzeitig online abrufbar – möglicherweise wegen eines technischen Defekts. Damit wird schnell klar, dass das Bundesverfassungsgericht die Wahlrechtsreform der Ampel in Teilen bestätigt und in anderen Teilen kippt. Doch es lohnt sich, bei der Urteilsbegründung genau hinzuhören.

Die Entscheidung lässt sich so zusammenfassen: Das Verfassungsgericht hat klargestellt, dass das sogenannte Prinzip der Zweitstimmendeckung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ein zentrales Element der Ampel-Reform: In Zukunft soll bei Bundestagswahlen allein der Anteil der Zweitstimmen maßgeblich für die Ermittlung der Sitzverteilung sein. Damit entfallen die bisherigen Überhangs- und Ausgleichsmandate. Das Wahlgesetz der Ampel sei "überwiegend verfassungsgemäß", heißt es in der Pressemitteilung aus Karlsruhe.

Verfassungsgericht mahnt auch Änderungen beim Wahlrecht an

Das Gericht hat aber auch entschieden, dass die jetzige Ausgestaltung der Fünf-Prozent-Hürde verfassungswidrig ist. Sie besagt in der aktuellen Fassung des Bundeswahlgesetzes, dass in der Regel nur solche Parteien in den Bundestag einziehen können, die diese Hürde überwinden. Die Richterinnen und Richter stellen nun klar, dass bis zu einer Neuregelung zusätzlich die sogenannte Grundmandatsklausel wieder greifen muss.

Diese Vorschrift ermöglicht es auch Parteien mit einem Zweitstimmenanteil von unter fünf Prozent, bei der Sitzverteilung berücksichtigt zu werden – vorausgesetzt, ihre Kandidaten gewinnen in mindestens drei Wahlkreisen ein Direktmandat. Nach der ursprünglichen Fassung des Ampel-Gesetzes sollte es eigentlich bei dieser Regelung bleiben, im parlamentarischen Verfahren aber wurde sie gestrichen. Das hat das Verfassungsgericht jetzt korrigiert.

CSU-Chef Söder: "Klatsche für die Ampel"

Noch während der Urteilsbegründung beginnt der Kampf um die politische Deutungshoheit. CSU-Chef Markus Söder schreibt im Onlinedienst X von einem "Erfolg für Bayern" und einer "Klatsche für die Ampel". Der Koalition im Bund wirft der Ministerpräsident "versuchte Wahlmanipulation" vor, die mit dem Urteil hinfällig sei. Und: "Das Verfassungsgericht erkennt die Kraft der CSU und Bayerns an."

Eine Bewertung, die sich das Gericht nicht zu eigen macht. Mit Blick auf die CSU führt die Vizepräsidentin des Gerichts, Doris König, aus: "Zwar ermöglicht ein Wahlrecht, das föderale Belange berücksichtigt, dass sich eine Partei als Landespartei auf nur ein Land beschränkt." Dann aber schiebt die Richterin nach, dass eine solche Partei "nach der Konzeption des Grundgesetzes nicht zur Repräsentantin dieses Landes im Bundestag" werde – auch wenn sie, wie die CSU, nahezu alle Direktmandate in den Wahlkreisen gewinne.

Vollumfänglich zufrieden sind die Christsozialen mit dem Urteil jedenfalls nicht. Söder sieht auch einen "Wermutstropfen". Und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bedauert, dass das Gericht andere Teile des Ampel-Gesetzes gebilligt hat. Damit meint der CSU-Politiker das besagte Prinzip der Zweitstimmendeckung. Es kann dazu führen, dass Wahlkreisgewinner am Ende leer ausgehen, weil ihr Ergebnis nach Erststimmen eben nicht vom Zweitstimmenergebnis der jeweiligen Partei gedeckt ist. Aus Sicht der CSU ein Rückschlag für die direkte Demokratie.

Im Video: Söders Reaktion auf die Entscheidung

Söders Reaktion auf die Entscheidung
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Söders Reaktion auf die Entscheidung

Ampel reagiert erleichtert auf Wahlrechts-Urteil

Genau dieses Prinzip der Zweitstimmendeckung ist allerdings ein Kernelement der Ampel-Reform. Entsprechend erleichtert reagieren Vertreter der Koalition: Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle sagt, das Gericht habe "ein kluges Urteil gesprochen und das Herzstück der Wahlrechtsreform bestätigt".

Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Dirk Wiese ergänzt, die Ampel mache "Schluss mit Überhang- und Ausgleichsmandaten, die den Bundestag immer weiter vergrößern und so seine Arbeitsfähigkeit gefährdet haben". Und der Grünen-Abgeordnete Till Steffen sieht mit dem Urteil das Ziel erreicht, den Bundestag auf höchstens 630 Abgeordnete zu verkleinern. "Ein großer Erfolg" sei das, durchgesetzt "gegen den erbitterten Widerstand insbesondere der CSU".

CSU will Regelung bei Wahlsieg korrigieren

Die Christsozialen und die bayerische Staatsregierung waren gegen das neue Wahlgesetz vorgegangen, ebenso wie die Linke, 195 Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und tausende Privatleute. Und es sieht nicht danach aus, dass der politische Streit mit dem Urteil beendet wäre. Alexander Dobrindt, der Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten, kündigt an, die Zweitstimmendeckung im Fall eines Wahlsiegs im kommenden Jahr zu korrigieren "und der Direktwahl in den Deutschen Bundestag in den Wahlkreisen wieder mehr Gewicht" zu verleihen.

Bis dahin gibt es mehrere Möglichkeiten. Ein neuer Bundestag könnte zum Beispiel im Wesentlichen gemäß der Ampel-Reform gewählt werden, aber bei Beachtung der Grundmandatsklausel. Oder die Koalition korrigiert ihr Gesetz und nimmt Änderungen an der Fünf-Prozent-Hürde vor, um weitere Ausnahmen zu begründen. In diesem Fall aber drängt die Zeit, denn üblicherweise soll ein Wahlrecht ein Jahr vor seiner erstmaligen Anwendung in Kraft sein. Und der nächste Bundestag wird schon in 14 Monaten gewählt.

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