Erdkabel für Südlink
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Die Arbeiten an der Gleichstromtrasse Südlink haben begonnen. Hier haben die Netzbetreiber Erfahrung mit den Mehrkosten von Erdkabeln gesammelt.

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Freileitung statt Erdkabel: Wie groß sind die Vorteile wirklich?

Bayerns Staatsregierung hat ihre Position geändert: Früher bestand sie darauf, große Stromleitungen unterirdisch zu verlegen. Jetzt will sie stattdessen Freileitungen. Hochspannungsmasten statt Erdkabel: Wie viel billiger und besser ist das wirklich?

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat in seiner jüngsten Regierungserklärung angekündigt, der Bau von Stromleitungen müsse künftig schneller und günstiger werden. Um das zu erreichen, soll nach dem Willen Söders für künftige Stromtrassen gelten: "Überirdisch, wo möglich, unterirdisch, wo nötig." Dabei geht es um die auch "Stromautobahnen" genannten Gleichstromtrassen, die das Rückgrat der künftigen Stromversorgung Deutschlands bilden sollen.

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Die im Bau befindlichen Trassen sollen auf jeden Fall Erdkabel bleiben. Die erst geplanten könnten auch oberirdisch verlegt werden.

Wie reparaturanfällig sind Erdkabel im Vergleich zu Freileitungen?

BR24-Userinnen und User zweifeln teilweise daran, ob die Vorteile von überirdischen Hochspannungsleitungen tatsächlich so groß sind. So gibt etwa "farbwm" zu bedenken: "Erdkabel sind nicht so anfällig für Einflüsse von außen (Sturm usw.)." Auf Anfrage von BR24 sagt dazu ein Tennet-Sprecher, es sei zwar richtig, dass Erdkabel weniger dem Wetter ausgesetzt sind. Dafür könne es bei unterirdisch verlegten Leitungen vorkommen, dass sie bei Bagger- oder Bohrarbeiten beschädigt werden. Und in so einem Fall könne dann die Reparatur bei einem Erdkabel auch mal einige Monate dauern. Eine Freileitung sei dagegen in der Regel innerhalb weniger Stunden zu reparieren, maximal falle sie für Tage aus.

Die Netzbetreiber hätten mit Freileitungen auf Höchstspannungsebene inzwischen fast 100 Jahre Erfahrung bei allen Witterungsverhältnissen, so der Sprecher. Diese zeige, "dass Unwetter nur in seltenen Ausnahmefällen zu echten Schadensereignissen führen". Eines der häufigsten Phänomene sei, dass Abdeckplanen von Feldern – etwa für Spargel – in die Leitungen geweht würden. So ein Schaden sei jedoch sehr schnell zu reparieren. Aber auch falls ein Strommast umgeknickt werde, könne er binnen Tagen durch ein provisorisches Bauwerk ersetzt werden. Schon den Schaden zu lokalisieren, sei bei unterirdischen Leitungen viel komplizierter. Dadurch sind nach Einschätzung von Tennet die erwarteten Ausfallzeiten bei Erdkabeln insgesamt höher.

Wie sieht es mit dem Schutz vor Terror und Sabotage aus?

Die Antworten zu Sicherheitsvorkehrungen und Schwachstellen sind seitens der Netzbetreiber schmallippig, um eventuellen Angreifern keine Informationen zu liefern. Klar sei, dass die gesamte Infrastruktur auf Redundanz angelegt ist. Das heißt: Falls eine wichtige Leitung ausfällt, muss die Stromversorgung das jederzeit verkraften können.

Außerdem warnt eine Tennet-Sprecherin: "Unabhängig ob Freileitung oder Erdkabel bringen sich Saboteure an Stromleitungen selbst in höchste Lebensgefahr. Eine bloße Annäherung an Stromleitungen kann zu lebensbedrohlichen Situationen führen." Dass Reparaturen bei Freileitungen schneller gehen, gilt auch im Fall von bewusst herbeigeführten Schäden.

Was ist mit den Folgekosten – also Betrieb und Wartung?

Mit Erdkabeln im Höchstspannungsbereich fehlen laut Tennet bisher die Langzeiterfahrungen im Realbetrieb, deshalb sei ein Vergleich mithilfe von Ist-Zahlen bisher nicht möglich. Die Kabelhersteller sprächen von einer Lebenserwartung der Erdkabel zwischen 40 und 50 Jahren. Die bisher üblichen Freileitungen können laut Tennet sogar bis zu 100 Jahre in Betrieb bleiben, wobei nach 40 bis 50 Jahren ebenfalls eine Generalsanierung durchgeführt werden muss. In beiden Fällen ist also die Infrastruktur des Stromnetzes, wenn sie einmal gebaut ist, sehr langlebig.

Wie sind die Zahlen zum Kostenvergleich einzuordnen?

Leser Paul Lehmann fragt: "Ich finde es irritierend, dass zum Kostenvergleich Erdkabel vs. Freileitung so unterschiedliche Zahlen kursieren. Können Sie das einordnen?"

Tennet geht davon aus, dass Erdkabel vier- bis achtmal mehr kosten als Freileitungen. Das ergebe sich aus den bisherigen Bau- und Planungserfahrungen zum Beispiel beim Südostlink. Je schwieriger das Terrain sei, desto höher die Mehrkosten durch die Verlegung unter der Erde. Dadurch erkläre sich die große Bandbreite in den angegebenen Kosten. Im gebirgigeren, südlichen Teil Deutschlands sei der Bau und die Logistik deutlich aufwändiger als in der Norddeutschen Tiefebene. Besonders schwierig und teuer seien auch unterirdische Querungen großer Flüsse, etwa an der Elbe. Ähnliches gelte auch für Autobahnen und Eisenbahnstrecken.

"TransnetBW", der Netzbetreiber in Baden-Württemberg, ist vor Beginn der Arbeiten an den Erdkabeln seit dem Jahr 2014 von den gleichen Kostenverhältnissen ausgegangen wie Tennet – also einem Faktor vier bis acht, bestätigt ein Sprecher des Stuttgarter Unternehmens auf BR-Anfrage. Inzwischen schätzt TransnetBW jedoch für die künftig geplanten Trassen Südwestlink, Nordwestlink und Ostwestlink die Kostenspreizung geringer ein – der Sprecher schreibt dem BR, hier würden Erdkabel im Vergleich zu Freileitungen "mindestens zu einer Verdoppelung der Investitionssummen" führen.

Eine Studie oder Berechnungen dazu macht TransnetBW jedoch nicht öffentlich, genauso wenig wie Tennet. Man habe "verschiedene Szenarien und Faktoren, wie Materialkosten, Tiefbau oder Freileitungsbau unter anderem auf Basis unserer Erfahrungen bei den SuedLink-Ausschreibungen durchgerechnet", so der TransnetBW-Sprecher. Klar ist, dass sowohl die Tiefbau- als auch die Materialkosten großen Schwankungen unterliegen, wie sich gerade in den vergangenen Jahren gezeigt hat.

TransnetBW und die anderen Übertragungsnetzbetreiber gehen davon aus, dass sich bei einem Umschwenken von Erdkabel auf Hochspannungsleitungen bei den noch nicht begonnenen Gleichstromprojekten "bis zu 20 Milliarden Euro" einsparen ließen.

Die Bundesnetzagentur rechnet noch etwas genauer. Sie geht auf - BR-Anfrage - für die drei zukünftigen Gleichstromprojekte von einem Einsparvolumen von etwa 16,5 Milliarden Euro aus, wenn sie als Freileitung ausgeführt werden. Früher von der Behörde genannte Zahlen lagen höher, sie enthielten jedoch auch Projekte, "bei denen ohne eine Verzögerung in den Verfahren nicht mehr auf Freileitungen umgeschwenkt werden kann", so ein Netzagentur-Sprecher.

Wie wahrscheinlich ist ein Umschwenken von Erdkabel auf Freileitung wirklich?

Die Bundesnetzagentur äußert sich in ihrer Stellungnahme an den Bayerischen Rundfunk vergleichsweise skeptisch. Freileitungen hätten unbestritten Kostenvorteile, so ein Behördensprecher. Gleichzeitig gelte es jedoch zu verhindern, dass man durch veränderte Vorgaben beim Leitungsbau wieder langsamer werde: "Entscheidungen brauchen einen breiten Konsens auch der betroffenen Länder, den wir derzeit noch nicht erkennen können."

Gegen ein Umschwenken auf Freileitungen hat sich zum Beispiel der Energiewende-Minister von Schleswig-Holstein, Tobias Goldschmidt (Grüne) ausgesprochen. "Gleichstromleitungen können und müssen erdverkabelt werden. Kurs halten!" schreibt er auf "X". Einer von Goldschmidts Vorgängern im Amt war sein Parteifreund Robert Habeck, der jetzt auf Bundesebene für Energie zuständig ist.

Der Chef von TransnetBW, Werner Götz, lässt sich mit den Worten zitieren: "Es ist immer noch nicht zu spät, um bei den drei neuen Gleichstromverbindungen von Erdverkabelung auf Freileitung umzuschwenken, ohne die geplante Inbetriebnahme 2037 zu gefährden! Doch die parlamentarische Sommerpause naht. Es braucht jetzt sehr schnell eine Entscheidung."

Im Audio: Mehr Hochspannungsleitungen statt Erdkabel – Söders neuer Kurs

Hochspannungsleitung (Symbolbild)
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Die Tendenz geht bei den großen Stromtrassen zu Freileitungen statt Erdkabeln. Auch Bayern ist inzwischen dafür (Symbolbild)

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