Per Videocall meldet sich Priscilla Hirschhausen aus ihrer neuen Heimat in Aburi, weniger als eine Autostunde nördlich der Hauptstadt Accra in den Bergen Ghanas. Immer wieder setzt die Verbindung kurz aus, wenn sie zeitgleich einen Anruf bekommt. Wenn die Internetverbindung kurz weg ist, der Strom für zwei Stunden ausfällt: Das jucke sie nicht, sagt Priscilla. Sie ist dafür jetzt genau da, wo sie schon seit 2016 sein wollte.
Leben in Ghana ohne Rechtfertigung
Am 29. November vergangenen Jahres ist sie den für sie so wichtigen Schritt gegangen: Sie kehrte Deutschland den Rücken und zog nach Ghana, ins Land ihrer Mutter. Sie selbst wurde in Deutschland geboren, ihre Mutter kam im achten Monat schwanger hier an. Priscilla wird 38 Jahre lang hier sozialisiert, sagt sie, trotzdem fühlt sie sich zu ihrem Mutterland hingezogen.
"Weil ich mich hier sehr gesehen, angenommen, gehört fühle", sagt sie. Hier sei Rassismus für sie kein Problem. "Hier muss ich mich nicht immer rechtfertigen für meine Hautfarbe". Es sind Alltagsrassismen wie diese, die wohl jeder Mensch mit Migrationsbiografie kennt. Wie die Frage: "Ja klar, aber wo kommst du denn WIRKLICH her?"
Kampf gegen Rassismus: "Auslaugend"
Seit Jahren besteht Priscilla Hirschhausens Leben aus dem Kampf gegen Rassismus. Sie ist Migrationsberaterin, gibt Workshops und hat vor vier Jahren den Nürnberger Verein "We Integrate" gegründet. Auch hier hilft sie Geflüchteten, initiiert Projekte gegen Rassismus.
Das ist anstrengend, laugt aus, sagt Priscilla: "Im Sinne von: 'Warum wird es immer noch nicht verstanden? Warum haben die Menschen nicht mehr Feingefühl oder wollen sich mehr damit beschäftigen, um eben Menschen mit Migrationsbiografie auch ein Zuhause schenken zu wollen?'"
Sie brauche eine Pause, sagt die 38-Jährige. Nur der Zeitpunkt ist für sie rückblickend schwierig. Das starke Ergebnis der AfD bei der Landtagswahl in Bayern, die Ergebnisse der U-18 Wahl machen sie wütend, waren aus ihrer Sicht – salopp ausgedrückt – "für'n Arsch".
Rechtsruck und Struktureller Rassismus in Deutschland
Sie sagt, sie habe vielfältige Gründe, den Weg nach Ghana zu gehen. In einer Gesellschaft zu leben, die sie nicht vollständig akzeptiere, zähle dazu. Und da sei eben seit Jahren ein weiterer Rechtsruck in der Gesellschaft zu spüren. Das Ergebnis der AfD und die Ergebnisse der Wahlen der unter 18-Jährigen ist ein Symptom dafür. Politikerinnen und Politiker der AfD - aber auch der CSU und CDU - leisten dazu nach Ansicht von Priscilla Hirschhausen ihren Beitrag, "mit ihren Aussagen, die absolut gar nicht gehen, die absolut die Menschen mit Migrationsbiografie in Deutschland beleidigen und rassistisch abstempeln."
Das größte Problem ist für Priscilla aber der sogenannte Strukturelle oder Institutionelle Rassismus. Wie der Name bereits ausdrückt, handelt es sich dabei um eine tief in den Strukturen und den Wurzeln der Gesellschaft verankerten Form von Rassismus. Das geht über die Ausgestaltung von Schulbüchern bis hin zu sogenanntem Racial Profiling, bei dem vor allem Schwarze und People of Colour überdurchschnittlich häufig von der Polizei kontrolliert werden.
"Solange wir das in der Struktur nicht benennen, werden immer diejenigen, die sehr laut sind, sagen: 'Es ist ja gar nicht so schlimm und die einzelnen Menschen sollen sich nicht so haben', aber das Problem ist sehr viel größer." Priscilla Hirschhausen, Integrationshelferin
Verein "We Integrate" führt Arbeit weiter
Dieser Strukturelle Rassismus, der Rechtsruck, das mache sie müde, sorge für das Gefühl, dass ihre Arbeit zu wenig Früchte trage. Fruchtlos scheint ihre Arbeit aber nicht zu sein: Der Verein "We Integrate" [externer Link] erhält seit seiner Gründung viele Auszeichnungen: Der Interkulturelle Preis des Nürnberger Integrationsrats, der Kulturpreis der Stadt Nürnberg, auch Nominierungen auf Bundesebene sind dabei, für den Deutschen Engagementpreis etwa. Der Verein führt ihre Arbeit weiter – auch wenn die "Gründungsmama", wie Projektleiterin Anusiya Albert sie nennt, eine Lücke hinterlässt. Anusiya, die selbst von Rassismus betroffen ist, kann Priscillas Sorgen nachempfinden.
"Egal wie lange man in der Antirassismus-Arbeit, Antidiskriminierungs-Arbeit beschäftigt ist: Es ändert sich nichts", so Anusiya. Auch wenn durch viele Autorinnen und Autoren und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler viel vorwärts gehe, der Rechtsruck bleibe spürbar. Dennoch will sie sich weiter engagieren.
"Wir glauben daran, dass viele Menschen eigentlich gewillt sind, für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen und dafür einzustehen. Dass bei Vielen aber auch das Wissen fehlt und der Zugang. Und diesen Zugang möchten wir für alle Menschen legen und schaffen." Anusiya Albert, Verein "We Integrate"
Integrationsverein erlebt Start-up-Effekt
Um einen besseren Zugang zum Thema zu schaffen, bietet "We Integrate" viele verschiedene Programme, wie zum Beispiel "We Talk about it – Exit Rascism". Dort soll aufgeklärt werden, Betroffene und Nicht-Betroffene sollen zusammengebracht werden. Laut Anusiya Albert muss die Gesellschaft davon wegkommen, Rassismus als Problem einzelner Menschen zu betrachten. Es betreffe immer die gesamte Struktur und damit alle. Das sei auch Teil der Arbeit von "We Integrate".
Der Integrationsverein wächst seit seiner Gründung stark. 80 Mitglieder hat er mittlerweile und auch sonst passiert gerade sehr viel: "We Integrate" soll ein Trägerverein werden, mit Förderungen sollen hauptamtliche Stellen finanziert werden, berichtet Vorstandsmitglied Umut Şahverdi. Das würde bedeuten, dass sie eine große Lücke in der Integrationsarbeit in Nürnberg füllen und Menschen helfen könnten, die geflüchtet sind. Aus der Community für die Community arbeiten, meint Umut.
Dazu werden die Strukturen im Verein gerade umgebaut, um ihn langfristig zu etablieren und auf mehrere Schultern zu verteilen. "Dieses Baby von gerade mal vier Jahren muss weiterleben, ohne abhängig zu sein von einzelnen Personen, das ist das Wichtigste für den Verein und die Idee von 'We Integrate'", sagt Umut.
Das ist nach den Worten von Umut Şahverdi aber nur möglich, wenn der Verein nicht nur Anerkennung durch Preise bekommt, sondern "ernsthafte, institutionelle Förderung". Denn die Arbeit verlange das.
Priscillas Auswanderung: Pause oder Neustart?
Die Lücke, die Priscilla Hirschhausen im Verein hinterlässt, wird also durch viele Menschen gefüllt. Gefüllt werden muss sie, denn die Pause, die sich Priscilla jetzt in Ghana nimmt, ist eine sehr langfristige, wie sie sagt. Ab Sommer will sie ein achtjähriges Pflegekind annehmen. Ein großes Projekt.
An einem weiteren großen Projekt arbeitet sie bereits: Kofaya [externer Link]. So heißt ihr Modelabel, mit dem sie zum einen den riesigen Altkleider-Textilbergen aus Deutschland zu neuem Leben verhilft und gleichzeitig Schneiderinnen in Ghana eine Chance gibt.
Kofaya: Upcycling und Empowerment
Das Wort Kofaya ist eine Zusammensetzung zweier Symbole in der ghanaischen Symbolschrift "Adinkra". Ein herzförmiges Symbol, "Sankofa" und eines, das aussieht wie ein Farn, "Aya", stehen zusammen für "Empowerment", erklärt Priscilla. In diesem Upcycling-Projekt soll zum einen durch das Wiederverwerten der Textilienflut aus europäischer Fast-Fashion der Nachhaltigkeitsgedanke gefördert werden. Aber vor allem ziele das Projekt darauf ab, Schneiderinnen in Ghana sowohl die handwerklichen als auch die wirtschaftlichen Fertigkeiten zu geben, damit sie sich selbst ein Leben aufbauen können.
Eine große Aufgabe. Den Kontakt nach Deutschland will Priscilla Hirschhausen aufrechterhalten, zu Freunden, aber auch in Online-Workshops gegen Rassismus. Ob sie irgendwann nach Nürnberg zurückkehrt, lässt sie offen.
Im Video (Archiv): Der ehrenamtliche Verein "We integrate e.V."
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