Die AfD hat im Bundestag keinen automatischen Anspruch darauf, Vorsitzposten in Ausschüssen zu übernehmen. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und wies damit zwei Organklagen der AfD-Bundestagsfraktion ab. Dass ihre Kandidaten von den anderen Fraktionen nicht zu Vorsitzenden gewählt wurden, verletzt die Rechte der Partei demnach nicht.
Die Durchführungspraxis von Wahlen zur Bestimmung der Ausschussvorsitze und eine Abwahl vom Vorsitz bewegen sich im Rahmen der dem Bundestag zustehenden Geschäftsordnungsautonomie, erklärte die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats, Doris König. Damit verstößt auch die Abwahl des AfD-Abgeordneten Stephan Brandner als Vorsitzender des Rechtsausschusses nicht gegen die Verfassung: Wenn gewählt werden dürfe, dürfe auch abgewählt werden. Beide Organklagen der AfD bleiben damit ohne Erfolg.
Worum es bei der AfD-Klage ging
In der aktuellen Legislaturperiode hatten Kandidaten der AfD bei Wahlen zum Vorsitz von drei Bundestagsausschüssen die erforderliche Mehrheit verpasst. Die Fraktion hat daher – ähnlich wie im Bayerischen Landtag – keinen Ausschussvorsitz inne.
Die AfD verwies auf die Tradition, wonach jede Fraktion entsprechend ihres Kräfteverhältnisses eine bestimmte Anzahl an Ausschussvorsitzenden "bestimmen" könne. Würden ihre Kandidatinnen und Kandidaten nicht gewählt, werde ihr Recht auf "gleichberechtigte Teilhabe", auf effektive Opposition und auf faire und loyale Anwendung der Bundestagsgeschäftsordnung verletzt.
Das Bundesverfassungsgericht wies die Organklagen der AfD ab. Zwar stehe den einzelnen Fraktionen das Recht auf Gleichbehandlung zu, indem sie "spiegelbildlich" entsprechend ihrer Fraktionsgröße eine Anzahl an Abgeordneten entsenden kann. Ein Recht auf Besetzung eines Ausschussvorsitzenden bestehe aber nicht.
Wie Ausschussvorsitzende im Bundestag gewählt werden
Bundestagsausschüsse werden in jeder Wahlperiode neu benannt und besetzt. Welche Fraktion welchem Ausschuss vorsitzt, wird eigentlich im Ältestenrat ausgehandelt. Gibt es – wie nach der Bundestagswahl im September 2021 – keine Einigung, wird aus der Stärke der Fraktionen eine Zugriffsreihenfolge berechnet.
An die AfD wären in dieser Legislaturperiode so der Innen- und der Gesundheitsausschuss sowie der Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit gefallen. Weil es dagegen Widerspruch gab, wurde gewählt.
AfD-Kandidaten fielen bei Wahlen durch
Entsprechend gab es am 15. Dezember 2021 in allen drei Ausschüssen geheime Wahlen – und alle drei AfD-Kandidaten verfehlten die erforderliche Mehrheit deutlich. Ein zweiter Anlauf am 12. Januar 2022 endete mit dem gleichen Ergebnis. Bisher leiten die stellvertretenden Vorsitzenden die betroffenen Ausschüsse.
Abwahl des AfD-Politikers Brandner rechtmäßig
Mit verhandelt wurde am obersten deutschen Verfassungsgericht auch eine weitere Klage der AfD. Sie richtete sich gegen die Abwahl des vormaligen Rechtsausschuss-Vorsitzenden Brandner in der vergangenen Legislaturperiode. Nach mehreren Eklats Brandners hatten im November 2019 alle Ausschussmitglieder mit Ausnahme der AfD-Abgeordneten für dessen Abberufung gestimmt – ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Bundestages.
Brandner hatte 2019 unter anderem im Kurznachrichtendienst Twitter (heute X) einen Tweet geteilt, in dem nach dem rechtsextremistischen Anschlag mit zwei Toten auf die Synagoge in Halle zwischen "deutschen" Opfern und denen in Moscheen und Synagogen unterschieden wurde. Das Bundesverdienstkreuz an den Rocksänger Udo Lindenberg bezeichnete der Politiker als "Judaslohn" für dessen Kritik an der AfD.
Die Klage gegen Brandners Abwahl hatte am Mittwoch ebenfalls keinen Erfolg. Diese sei angesichts der zahlreichen umstrittenen Äußerungen und des fehlenden Vertrauensverlustes bei den anderen Ausschussmitgliedern nicht willkürlich gewesen.
Brandner: "Ein schwarzer Tag für den Parlamentarismus"
Stephan Brandner selbst, Vize und Justitiar der AfD-Fraktion, sprach von einem "schwarzen Tag für den Parlamentarismus in Deutschland". Mit der Entscheidung werde die Position von Ausschussvorsitzenden "massiv geschwächt" und deren Handeln der, so Brandner, Willkür der jeweiligen Regierungsmehrheit unterworfen. "Außerdem gilt: Mehrheiten können sich in Demokratien ändern und die jetzigen Mehrheiten werden sich an diesem Urteil messen lassen müssen, wenn sie einmal in der Minderheit sind."
SPD kündigt Präzisierung der Geschäftsordnung an
Die SPD zeigt sich erleichtert über das Karlsruher Urteil. "Wir freuen uns über die klare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts", teilte Johannes Fechner, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, mit. "Die Ausschussvorsitze sind zu wichtig, als dass wir sie mit unqualifizierten Personen besetzen können."
Fechner kündigte zugleich an, dass die Regierungsfraktionen eine Präzisierung der Geschäftsordnung des Bundestags vorschlagen werde. So sollen künftig Ausschussvorsitzende sowie Schriftführer im Präsidium nach klaren Regeln abgewählt werden können.
Mit Informationen von dpa, epd und Reuters
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