Mehr als 600 Fotos, Dokumente, Zeitungen, Plakate, Abzeichen, Uniformen und Fahnen der Hitlerjugend (HJ) und des Bunds Deutscher Mädel (BDM) hat der amerikanische Arzt Robert Bernat gesammelt – Dokumente, die zeigen, wie Kinder und Jugendliche mit der braunen Ideologie infiltriert wurden. Die Sammlung wird derzeit im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände gesichtet.
Ein braunes Hemd: Wer es trug, war "in"
Im Depot hält Kurator Alexander Schmidt ein Päckchen in der Hand, eingeschlagen in braunes Seidenpapier. Behutsam legt er es auf einen Tisch und öffnet das Papier. Toni Thiele, der seit dem Sommer ein Freiwilliges Soziales Jahr im Dokuzentrum ableistet, beobachtet den Historiker genau. Vor den Augen des 19-Jährigen wird ein Kleidungsstück sichtbar, das man nur aus Propaganda-Filmen kennt: Das Hemd einer HJ-Uniform, selbstgenäht.
"An sich nur ein braunes Hemd", stellt Alexander Schmidt fest. "Aber wer das hatte, der gehörte dazu. Und wer das nicht hat, ist nicht dabei. Und dazuzugehören ist heute wie damals etwas Wichtiges für den jungen Menschen." Irgendwann wollten fast alle Jungs im Deutschen Reich dabei sein. Heute würde man sagen, es war "in". Schon fast Gruppenzwang.
Vorbild Pfadfinderkluft, aber politisiert
Die HJ arbeitet mit etwas, das es schon vorher gibt: Der Kluft der Pfadfinder. Hemd, Halstuch, Fahrtenmesser. "Die HJ-Kleidung ähnelt der Pfadfinderkluft in vielen Dingen", stellt der Kurator fest. "Aber sie ist politisiert, sie gilt für alle gleich. Die Uniform hat diesen ganz klar militaristischen Charakter."
Toni Thiele ist mit 19 genau in dem Alter, auf das es Hitler und seine Macht-Ideologen abgesehen hatten: Die Jugend. Sie soll im Sinne der braunen Machthaber gleichgeschaltet werden. Vor allem die Hitlerjugend steht im Fokus. Der Diktator Adolf Hitler hat dies in einer Rede so formuliert: "Was wir benötigen, das sind Knaben und Mädchen, die später einmal starke Männer und tapfere Frauen sein können."
Drill von Kindesbeinen an
Die Staatsjugend wird von Kindesbeinen an auf Gemeinschaft, den "Volkskörper", gedrillt – mit dem Ziel der völligen Unterordnung der jungen Menschen unter dem Plan der Besiedelung des Ostens mit Volksdeutschen. Zuvor aber sollten durch den von Deutschland angezettelten Krieg die slawischen Völker unterworfen werden. "Volk ohne Raum" – das war damals eine gängige Parole.
Die Jungs in der Hitlerjugend, die Mädchen im Bund Deutscher Mädel. Eine gut 20 Zentimeter hohe, weiß glasierte Porzellanfigur zeigt ein Mädchen in der typischen BDM-Kluft: Weiße Bluse, ein geknotetes Halstuch, Zöpfe, wadenlanger Rock, feste, beinahe derbe Schuhe. Solche Figuren standen in linientreuen Haushalten im Wohnzimmerbüffet.
"Deutsche Mädel" sollten Soldaten gebären
Der Nationalsozialismus hatte auch für die Frauen eine wichtige Rolle vorgesehen – als Mutter, nicht als Soldatin. "Und die wichtigste ist, Kinder zu bekommen und auch junge Soldaten. Und das wird im BDM dann vermittelt", erläutert Kurator Alexander Schmidt. So gab es im BDM zum Beispiel Haushaltskurse.
Social Media als neues Macht-Instrument
Befremdlich wirkt das alles auf Toni Thiele. Im Sommer hat er Abitur gemacht, unter anderem im Fach Geschichte. Im Depot wird ihm klar vor Augen geführt, wie die Mechanismen der Einvernahme damals wirkten. Auch heute hätten Menschenfänger eine Chance, glaubt der 19-Jährige: "Ich glaube, es würde anders funktionieren. Ich glaube, es würde sehr viel über Social Media ablaufen. Dort würde man versuchen, einen neuen Trend daraus zu gewinnen, dass alle versuchen, mitzumachen, mit dem Trend dabei zu sein. Aber es könnte durchaus funktionieren."
Jede Bewegung hat ihre eigenen Codes
Das glaubt auch Kurator Alexander Schmidt: "Die coole Klamotte hat damals gezogen. Natürlich würde das damalige Outfit der HJ heute vielleicht nicht mehr viele anziehen. Aber dass man sich eigene Codes schafft, gehört zu jeder Bewegung dazu." Insofern ist der Versuch der NSDAP, Kinder und Jugendliche mit Ideologie zu infizieren, erfolgreich gewesen. Fanatisierte Hitlerjungen ließen ihr Leben im Bombenhagel der Alliierten als Flak-Helfer oder als Kanonenfutter im so genannten Volkssturm – dem letzten Aufgebot des Dritten Reiches.
Noch bis Ende 2025 wird das Dokumentationszentrum Reichsparteitage in Nürnberg umgebaut. Dann wird die derzeitige Interimsschau in der großen Ausstellungshalle aufgelöst und die Sammlung des amerikanischen Arztes Teil der neuen Dauerschau.
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