Bezirkskrankenhaus in Straubing
Bildrechte: BR/Andreas Wenleder
Audiobeitrag

Nach teils wochenlanger Flucht waren die verurteilten Straftäter gefasst worden. Jetzt hat die Einrichtung ihren Abschlussbericht vorgestellt.

Audiobeitrag
>

Flucht aus dem BKH Straubing: Keinen Fehler im System gefunden

Flucht aus dem BKH Straubing: Keinen Fehler im System gefunden

Die gewaltsame Flucht von vier Straftätern aus der Straubinger Forensik wird aufgearbeitet. Nach teils wochenlanger Flucht wurden die verurteilten Straftäter gefasst. Am Dienstag hat die Einrichtung ihren Abschlussbericht vorgestellt.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Niederbayern am .

Der gewaltsame Ausbruch und die Flucht von vier verurteilten Straftätern aus dem Bezirkskrankenhaus Straubing am 17. August 2024 hatte für Schlagzeilen gesorgt und viele Fragen aufgeworfen - besonders nach dem Sicherheitskonzept der Einrichtung. Am heutigen Dienstag hat Chefarzt Prof. Joachim Nitschke vor dem Bezirkstag Niederbayern in Landshut einen Abschlussbericht vorgestellt.

Die Geiselnahme aus Sicht der Klinik

Erste Maßnahmen hat das Krankenhaus bereits ergriffen – weitere sollen folgen, um zu verhindern, dass sich Vorfälle wie im Sommer wiederholen, so Nitschke. Denn, so der Chefarzt: "Das war eine Geiselnahme."

Der Hergang aus Sicht des Krankenhauses: Am Abend des 17. August verletzten vier Männer "vorausschauend und geplant einen Mitarbeiter". "Der Zeitpunkt war gut gewählt", erklärte Nitschke, "es war während des Gäubodenfests, das erleichtert das Untertauchen." Dabei sollen sie einen stumpfen Gegenstand und ein spitzes Bruchstück eines Kunststoff-Kosmetikspiegels eingesetzt haben. Auch die sogenannte Personennotrufanlage sei ausgeschaltet worden. "Die wussten, was sie tun", so Nitschke. Der Mitarbeiter sei anschließend gezwungen worden, sich mit den Häftlingen in den Bereich der Sicherheitsschleuse zu begeben.

Es ging um Leben und Tod

Die Männer hätten gedroht, den blutenden und verletzten Mitarbeiter zu töten, so Nitschke, und so das Öffnen mehrerer Sicherheitstüren gefordert: "Aufgrund dieser akut lebensbedrohlichen Lage für den Mitarbeiter wurden die Türen der Sicherheitsschleuse geöffnet", beschreibt Nitschke und betont, sich schützend vor seine Mitarbeiter zu stellen: "Auch ich hätte in dieser Notlage die Tür geöffnet."

Beim Verlassen der Klinik hätten die Männer den Mitarbeiter zurückgelassen. Wenige Minuten nach einem abgesetzten Notruf sei dann auch die Polizei eingetroffen. Ob ein früherer Notruf sinnvoller gewesen wäre, ist laut Nitschke schwer zu sagen. Die Ausbrecher seien so in Rage gewesen, "vielleicht hätten sie den Mitarbeiter angesichts heranfahrender Polizeiautos auch getötet".

Flüchtige in Österreich und der Türkei gefasst

Anschließend waren die vier Männer teils mehrere Wochen auf der Flucht. Zwei von ihnen wurden in Österreich gefasst, die anderen beiden in der Türkei.

Das BKH habe währenddessen Sofortmaßnahmen ergriffen, so Nitschke. Betroffenen Mitarbeitern sei Hilfe angeboten worden, außerdem sei eine sofortige Überprüfung möglicher Sicherheitslücken und möglichen Fehlverhaltens vorgenommen worden. Sämtliche Patienten seien überprüft worden – "um mögliche Nachahmungstäter zu identifizieren", so Nitschke.

Außerdem gelte die Anweisung, dass Mitarbeiter den betroffenen Bereich der Klinik nur noch zu zweit betreten dürfen. Die Herausgabe von Kunststoff-Kosmetikspiegeln sei seit dem Vorfall verboten.

Bisher kein Systemfehler erkennbar

Die Aufarbeitung findet auch extern statt. Dafür holte das Bezirkskrankenhaus nach eigenen Angaben eine Gefahrenanalyse und eine Risikoeinschätzung durch ein unabhängiges Institut aus Wiesbaden ein. Systematische Fehler seien bislang nicht festgestellt worden, betont Nitschke.

"Die Sicherheit der Bevölkerung stand und steht im Fokus der Klinik", so das Fazit des Klinikchefs. Trotz des Vorfalls sei ihm wichtig, auf die Sinnhaftigkeit des Maßregelvollzugs in seiner Klinik hinzuweisen. Der Ausbruch dürfe nicht zum "Trugschluss führen, unsere Arbeit dort würde keine zusätzliche Sicherheit schaffen". Die Rückfallquoten für Straftaten im Suchtbereich lägen bei Justizvollzugsanstalten deutlich höher als bei Einrichtungen, zu denen auch das Bezirkskrankenhaus Straubing zählt.

Laut Nitschke arbeitet eine Gruppe aus Vertretern des bayerischen Justiz- und Sozialministeriums, Fachaufsicht, Staatsanwälten und Maßregelvollzug an "rechtskonformen Lösungen", um Suchtpatienten schneller ins Gefängnis zu verlegen, wenn eine Therapie aussichtslos erscheint. "Das ist uns ein großes Anliegen", sagte Nitschke.

Weitere Hintergründe zu den Entflohenen

Seit 2023 seien die vier Männer im Bezirkskrankenhaus Straubing untergebracht gewesen. "Sie befanden sich zum Zeitpunkt ihrer Flucht in einer Station für Krisenintervention und Anregung von Therapieabbruch im Suchtbereich", erklärte Nitschke. "Ein Patient wurde wegen Diebstahlsdelikten, ein Patient wegen Diebstahlsdelikten und Körperverletzung im Drogenmilieu und zwei Patienten wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und Körperverletzung im Drogenmilieu verurteilt." Zu möglichen Motiven für die Flucht wollte sich Nitschke nicht äußern: "Die Beurteilung unterliegt dem Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung."

Im Fall einer Verurteilung wegen Geiselnahme drohen den Männern lange Haftstrafen. Laut Staatsanwaltschaft Regensburg sind Freiheitsstrafen zwischen fünf und 15 Jahren möglich. Die Anklage, so Nitschke, wird zum Jahresende erwartet.

Bildrechte: BR/Philip Kuntschner
Bildbeitrag

Prof. Joachim Nitschke stellt den Abschlussbericht vor.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!