"Deutschland gehört zu den sichersten Ländern der Welt", schreibt das Bundesinnenministerium auf seiner Website. Manuel Ostermann sieht es anders: "Ich würde sagen, Deutschland ist nicht mehr sicher."
Der Bundespolizist und Vize-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft ist spätestens durch seinen Auftritt im Sat.1-Frühstücksfernsehen und dem dazugehörigen viralen Clip im Netz [externer Link] einem breiteren Publikum bekannt geworden – einschließlich seiner Analyse der inneren Sicherheit in Deutschland: "Die Politik hat landesübergreifend bis in die Bundesregierung hinein über Jahrzehnte hinweg an der Infrastruktur des öffentlichen Dienstes gespart, mit fatalen Folgen. Insbesondere die Migrationskrise definiert sich zunehmend als Kriminalitätskrise", sagt Ostermann im BR24-Interview für "Possoch klärt".
Oliver von Dobrowolski, Kriminalhauptkommissar und Gründer des Vereins "BetterPolice" [externer Link], kann das so nicht stehen lassen: "Die Diskussion ist in meinen Augen leider symptomatisch. Aschaffenburg war zuerst einmal eine ganz fürchterliche Tat. Aber wie das Ganze geframt wird, nämlich als Anschlag oder auch als symptomatische Tat für eine vermeintliche Überfremdung, das ist sehr betrüblich, und das ist eigentlich sogar schändlich."
Die Tücken der Polizeistatistik
Funktioniert in Deutschland die innere Sicherheit noch oder nicht? Ein Blick in die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) [externer Link] kann vielleicht helfen:
In der PKS 2023 heißt es: Die Zahl aller registrierter Straftaten in Deutschland lag im vergangenen Jahr bei fast sechs Millionen. Hermann Groß vom Arbeitskreis Empirische Polizeiforschung ordnet im BR24-Interview ein: "Das ist erstmal eine reine Tätigkeitsstatistik, ein Arbeitsnachweis der Polizei – kein allumfänglicher Überblick."
Eine bessere oder umfassendere Polizeiarbeit kann also ein Grund für einen statistischen Anstieg in der Polizeilichen Kriminalstatistik sein: "Mit mehr Polizei werden Sie auch rein statistisch mehr Kriminalität produzieren, weil dann auch mehr Straftaten erfasst werden."
Im Video: Ist Deutschland noch sicher? Possoch klärt!
Sind Ausländer krimineller?
Vor allem eine Zahl steht in der aktuellen Debatte im Fokus: Nichtdeutsche Tatverdächtige. Da zählen alle Menschen rein, die in Deutschland leben, aber keinen deutschen Pass haben; Touristen und Durchreisende gehören ebenso dazu. Aber eben auch Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten oder die bewusst nach Deutschland fahren, um Straftaten zu begehen.
In diesem Zusammenhang wird häufig folgende Informationen ohne Einordnung berichtet: 2023 gab es im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um 17,8 Prozent bei nichtdeutschen Tatverdächtigen. Diese Entwicklung hängt auch mit der gestiegenen Zuwanderung insgesamt zusammen. Laut BAMF sind 2023 knapp 663.000 Menschen mehr nach Deutschland eingewandert als fortgezogen.
Außerdem können bestimmte Straftaten nur von Ausländern begangen werden wie unerlaubte Einreise oder Verstöße gegen das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz. Rechnet man das raus, liegt der Anstieg aber immer noch bei 13,5 Prozent. Insgesamt betrachtet sind mehr als 41,3 Prozent aller Tatverdächtigen Ausländer. Sind also Ausländer krimineller?
Natürlich haben wir einen höheren Anteil von ausländischen Tatverdächtigen, wenn wir PKS-Zahlen nehmen, als es vielleicht dem Bevölkerungsanteil entspricht. Aber wenn wir hier Gleiches mit Gleichem vergleichen wollen, dann schaut die Sache schon anders aus: Kriminalität ist vor allem ein männliches Problem. Wenn jetzt sehr viele junge Männer vorhanden sind und das ist der Fall bei den meisten Gruppen im Bereich Asyl und Migration, dann wird deutlich, dass man die eigentlich mit jungen deutschen Männern vergleichen müsste." Hermann Groß, Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung
Sprich: Ohne Kontext und ohne Einordnung sind die absoluten Zahlen der PKS nicht geeignet, um eindeutige kausale Schlüsse daraus zu ziehen, erklärt der Polizeiforscher ausführlich im aktuellen "Possoch klärt"-Beitrag (externer Link).
Objektive Sicherheit vs. subjektive Sicherheit
Es ist ein Unterschied zwischen dem objektiven Fakt: "Deutschland ist sicher" und dem subjektiven Gefühl "ich fühle mich nicht sicher". Wer sich nur auf sein subjektives Gefühl bei der Bewertung verlässt, kommt laut von Dobrowolski zu einer anderen Antwort auf die Frage: Ist Deutschland noch sicher? "Es geht heutzutage sehr stark um Deutungshoheit und um Narrative, die geschaffen werden. Aber es ändert nichts daran, dass wir objektiv betrachtet ein sehr sicheres Land sind."
Für Manuel Ostermann ist vor allem die Politik am Zug: "Wenn wir eine Integrationsdebatte führen wollen, müssen wir definieren: Wer ist das überhaupt und wie machen wir das überhaupt? Und auf der anderen Seite geht es auch darum, geltendes Recht um- und durchzusetzen." Das ist ein Punkt, in dem sich Ostermann und von Dobrowolski einig sind: Es brauche nicht unbedingt mehr Gesetze und Befugnisse, es brauche mehr Konsequenz und weniger Behörden-Wirrwarr.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!